Die Kosten des Klimawandels

In diesem Interview erklärt Tobias Grimm von Munich Re, welche Rolle der Rückversicherer bei der Bekämpfung der Folgen des Klimawandels spielt, wie viel die extremen Auswirkungen des Klimawandels kosten, warum es neben Anpassung auch Vermeidung weiterer Ausstöße von Treibhausgasen braucht und wie der Wandel hin zu einer lebenswerten Zukunft gelingen kann.

Herr Grimm, die Folgen des Klimawandels sind längst spürbar. Überschwemmungen, Stürme oder Hitzewellen verursachen große Schäden und gefährden Leib und Leben. Auf der Website von Munich Re informieren Sie ausführlich zum Klimawandel und seinen Folgen. Welche Rolle spielt dabei die Rückversicherung?

Tobias Grimm: Als Rückversicherer übernehmen wir für unsere Kunden, die Erstversicherer, Spitzenrisiken. Im Falle von Großkatastrophen wären Erstversicherungen ohne Rückversicherungsschutz ab einem gewissen Punkt finanziell überfordert. Naturkatastrophen sind ein typischer Fall für diese Art von Risikotransfer.

Ein klassisches Beispiel wäre der überflutete Keller?

Absolut, bei massiven Schäden etwa durch Überschwemmungen übernimmt der Rückversicherer schnell einen Großteil der Kosten. Das trägt erheblich zur Resilienz einer Volkswirtschaft bei.

Lassen sich Naturkatastrophen vermehrt auf den Klimawandel zurückführen?

Mit pauschalen Aussagen wäre ich hier vorsichtig. Unser Job ist es, Extremwetterereignisse zu versichern. Ob diese im Einzelfall auf den Klimawandel zurückzuführen sind, ist schwer zu beweisen. Das ist eine Frage, mit der sich die sogenannte „Attributionsforschung“ befasst und bei der es noch Unsicherheiten gibt. Entsprechende Studien zur Ahrtal-Katastrophe im Juli 2021 haben beispielsweise ergeben, dass sich die Wahrscheinlichkeit solcher Extremniederschläge um das 1,2- bis 9-fache erhöht hat. Betrachtet man das Gesamtbild, so gibt es starke Indizien dafür, dass der Klimawandel das Auftreten bzw. die Intensität bestimmter Ereignisse in bestimmten Regionen begünstigt.

Man kann also auch die Kosten des Klimawandels nicht genau beziffern?

Wir sehen über die letzten Jahre eine Häufung der Schäden und höhere Schadenzahlen. Weltweit verzeichneten wir im Jahr 2022 Schäden durch Naturkatastrophen in Höhe von 270 Milliarden US-Dollar. Das ist der volkswirtschaftliche Schaden. Von diesem waren 120 Milliarden US-Dollar versichert. Man kann sagen, dass diese Schadenhöhe so etwas wie das "New Normal" ist: In den letzten sechs Jahren wurde weltweit dreimal die Grenze von 100 Milliarden US-Dollar im Hinblick auf versicherte Schäden überschritten.

Woher kommt diese krasse Kostensteigerung?

Die versicherten Werte steigen. Es wird immer mehr gebaut. Wenn ein Sturm die Küste trifft, steht da heute eine Stadt, wo früher eine kleine Siedlung war. Solche Veränderungen der Sozioökonomie sind der wichtigste Schadentreiber.

Ist es möglich, den Effekt der Wertsteigerung der versicherten Objekte herauszurechnen und den Nettoeffekt des Klimawandels zu ermitteln?

Das Rausrechnen denkt sich leicht, ist in der Praxis aber nicht umsetzbar. Der Klimawandel wirkt sich regional unterschiedlich auf die Naturgefahren aus. Auch können Anpassungsmaßnahmen, also Lerneffekte aus früheren Katastrophen, die in bessere Vorsorge münden, sehr unterschiedliche Effekte haben. Pauschale Aussagen zu den konkreten Auswirkungen des Klimawandels sind daher immer schwierig.

Haben Sie ein Beispiel?

Jedes Jahr beobachten wir genau, wie sich die Hurrikane, die tropischen Wirbelstürme in den USA, entwickeln. Zwar nimmt die Zahl dieser Stürme nicht zu. Wenn aber ein Hurrikan entsteht, ist dieser tendenziell intensiver. Es fällt schlicht mehr Regen. Das deckt sich auch mit der Klimaforschung. Wir beobachten bei bestimmten Naturgefahren immer neue Schadendimensionen. Die Ahrtal-Katastrophe beispielsweise war mit einem volkswirtschaftlichen Schaden von etwa 40 Milliarden US-Dollar etwa viermal so teuer wie die bis dahin teuerste Hochwasserkatastrophe in Mitteleuropa und im Übrigen laut ersten Hochrechnungen auch erheblich teurer als die Überschwemmungen in Italien in diesem Frühjahr. Ein anderes Beispiel sind die Waldbrände in Kalifornien. Man ist da noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt und der Klimawandel spielt dabei sicherlich eine Rolle.

Die Macht der Extreme

Algen in der Wüste, Extremwetter-Ereignisse oder die ständige Bedrohung durch Vulkanausbrüche in der Geschichte Neapels: Unser neuester Podcast rückt Wissenschaflerinnen und Wissenschaftler in den Fokus, die an Extremen forschen, um die Ökologie, das Klima und dem Umgang des Menschen mit Naturkatastrophen besser zu verstehen.

Das bekommt auch die Landwirtschaft voll zu spüren.

Ja, wir beobachten immer häufiger, dass sich Trocken- oder Nassperioden an Ort und Stelle halten, weil die Erderwärmung die Dynamik im weltweiten Klimasystem verringert. Das wirkt sich direkt auf die Nahrungsmittelkette aus.

Sie haben die Auswirkungen der Wertsteigerung versicherter Objekte und die Folgen der Klimaerwärmung diskutiert. Wie könnten sich diese Aspekte in den nächsten 50 Jahren entwickeln?

Natürlich können auch wir nicht in die Zukunft sehen. Aber wir beschäftigen uns seit 50 Jahren mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Von dieser Erfahrung profitieren wir. Bei der Risikomodellierung orientieren uns zudem an den aktuellen Gegebenheiten und den Erkenntnissen aus der Forschung und legen dann Jahr für Jahr angemessene Deckungssummen fest. Wir kennen die Vorhersagen der Klimamodelle und wissen auch, in welche Richtung es gehen wird. Das ist relativ klar. Ebenso wie der Fakt, dass Versicherung als solches ein wichtiges Instrument für Volkswirtschaften ist und bleiben wird, um mit steigenden Schäden aus Wetterextremen besser klarzukommen.

Im Weltklimabericht des Weltklimarats IPCC diskutiert man konkrete Szenarien. Im Worst-Case erwarten wir einen globalen Meeresspiegelanstieg um mehrere Meter in den nächsten Jahrhunderten. Generell werden die Veränderungen in immer kürzeren Zeiträumen immer drastischer. Rechnen Sie mit diesem Worst-Case, um vorbereitet zu sein?

Als Rückversicherer kalkulieren wir nur mit der heutigen Gefährdungslage. Trotzdem kalibrieren wir unsere Modelle entsprechend der Prognosen aus der Forschung. Gleichzeitig teilen wir unser Wissen mit Erstversicherern als unseren Kunden, damit sie verstehen, wo die Reise für sie hingehen könnte, auch im Hinblick auf ihre eigenen Klimaziele.

Im Podium diskutieren Verterterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, der Versicherungsbranche und Politik über die Verantwortungsfrage in der Klimakrise und wie man sich im Schulterschluss auf zukünftige Extremwetterereignisse vorbereiten kann. Auch Ernst Rauch, Chief Climate and Geo Scientist bei Munich Re, spricht über die Kosten durch Extremwetterschäden und die Rolle der Rückversicherung. 

Extremwetterschäden: Wer trägt die Verantwortung?

Im Podium diskutieren Verterterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, der Versicherungsbranche und Politik über die Verantwortungsfrage in der Klimakrise und wie man sich im Schulterschluss auf zukünftige Extremwetterereignisse vorbereiten kann. Auch Ernst Rauch, Chief Climate and Geo Scientist bei Munich Re, spricht über die Kosten durch Extremwetterschäden und die Rolle der Rückversicherung. 
https://www.youtube.com/watch?v=smiwUIaESmk

Erste Warnungen vor einer Klimakatastrophe gab es bereits in den 1940ern, spätestens aber 1986 durch die Deutsche Physikalische Gesellschaft. Wann hat die Munich Re begonnen, die Risiken der Klimakrise zu erkennen und die eigene Strategie anzupassen? 

Vor genau 50 Jahren haben wir erstmals auf das veränderte Risiko durch Naturgefahren hingewiesen. Das Thema Klimawandel ist ein Stück weit in unserer DNA. Klimaexperten von Munich Re waren auch Hauptautoren für Kapitel des Weltklimaberichts, dem IPCC. Diese im IPCC festgehaltene konsolidierte Sicht repräsentiert den Konsens der aktuellen Klimaforschung und ist daher auch für unsere Strategie elementar.

Auf der Homepage der Munich Re steht: „Früher hat die Rückversicherung reagiert, wenn sich Dinge veränderten. Das war einmal. Heute sind wir Wegbereiter, die Wandel ermöglichen.“ Welche Maßnahmen ergreifen Sie konkret in Bezug auf die Klimakrise?

1978 haben wir unser erstes Serviceprodukt – eine „Landkarte der Naturgefahren“ -  veröffentlicht und dieses kontinuierlich aktualisiert. Auch heute wollen wir Vorreiter sein, indem wir beispielsweise erneuerbare Energiequellen versicherbar und finanzierbar machen. Wir übernehmen etwa Leistungsgarantien von Solarmodulherstellern oder schützen vor Konkurs und Ausfall  und tragen so dazu bei, sauberen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen. Mit diesem Konzept sind wir auch bei Windturbinen oder Batteriespeichern sehr erfolgreich und wollen auch in den Wasserstoffmarkt einsteigen.

Langfristig ist es sicher rentabler auch die Ursachen zu bekämpfen als nur hinterher die Kosten der Schäden zu decken.

Sicher, zumal der Schadentrend bei Naturkatastrophen nach oben geht, also die Kosten tendenziell immer höher werden, woran der Klimawandel sicher einen Anteil hat. Um diesen Trend zu verlangsamen, müssen die Emissionen runter. Das wirkt allerdings nur langfristig. Kurzfristig müssen wir uns an die heute schon unvermeidlichen Folgen des Klimawandels besser anpassen, zum Beispiel durch entsprechende Bauvorschriften für Gebäude.   

Wie viel wird der Wandel hin zu einer ausreichenden Versorgung mit erneuerbaren Energien kosten? Demgegenüber stehen die Folgekosten durch Naturkatastrophen, die laut Bundesministerium für Klimaschutz mit fortschreitender Klimaerwärmung bis 2050 bis zu 900 Milliarden Euro betragen könnten.

Eine solche Gegenüberstellung ist schwierig und kann leicht fehlinterpretiert werden. Um eine Hausnummer zu nennen: Laut der International Energy Agency bräuchte es alleine bis 2030 jährlich 1,6 Billionen US-Dollar an reinen Investitionen in erneuerbare Energien, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Momentan liegen die Investitionen bei einem Drittel dessen.

Das sind globale Zahlen, wohingegen die 280 bis 900 Milliarden Euro als mögliche Klimaschäden eine nationale Projektion ist, die im übrigen nicht nur die direkten Klimaschäden, sondern auch Folgeschäden und immaterielle Schäden beinhaltet. Der Umbau in eine kohlenstofffreie Wirtschaft ist mittel- bis langfristig alternativlos, er kommt auch mit einer Reihe von volkswirtschaftlichen Vorteilen. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch an die Veränderungen durch den Klimawandel anpassen, die schon heute spürbar sind. Hier ist es uns wichtig, die richtigen Anreize zu setzen.

Was bedeutet das in der Praxis?

Spätestens 2050 wollen wir selbst „net-zero“ sein. Das heißt, keine Kohlendioxidemissionen mehr auf beiden Seiten der Bilanz, sowohl auf der Versicherungs- als auch auf der Kapitalanlageseite. Es liegt daher in unserem Interesse, unsere Kunden bei ihrer eigenen Transformation bestmöglich zu unterstützen.

Wir erleben schon seit Längerem eine aufgeheizte und oftmals von Frust begleitete öffentliche Debatte um Klimaschutz und Aktivismus. Wie schauen Sie in die Zukunft?

Wir erleben einen gesellschaftlichen Wandel. Ich weiß, dieser Wandel bringt Härten mit sich. Aber angesichts von Katastrophen wie im Ahrtal wäre mir viel daran gelegen, den Schulterschluss auch mit der Politik zu suchen, um gemeinsam eine widerstandsfähigere Welt aufzubauen. Denn Naturkatastrophen dieses Ausmaßes werden wir in Zukunft öfter sehen.

Zuletzt eine persönlichere Frage: Sind Sie zufrieden in Ihrer Arbeit?

Ja, es erfüllt mich, mich mit diesen Themen zu befassen. Natürlich sind wir auch ein Stück weit getrieben durch tagesaktuelle Katastrophen oder politische Entscheidungen. Insgesamt wird uns das Thema nicht mehr verlassen, da bin ich sehr sicher. Damit meine ich sowohl Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel begünstigt werden, als auch die Transformation zur Klimaneutralität. Die Frage ist nur, wie schnell kommen wir da hin und wie schmerzhaft wird der Weg sein?

Interview: Tobias Beuchert

Transparenzhinweis: Munich Re ist Kooperativ Förderndes Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft

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