Nanokapseln - Zauberkugeln aus Öl und Wasser
Egal ob als Vehikel für Medikamente, in Farben oder für die Produktion von Datenspeichern – die Nanokugeln und -kapseln, die Katharina Landfester und ihre Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Polymerforschung produzieren, versprechen vielfältigen Nutzen. Möglich gemacht haben das erst fundamentale Erkenntnisse über ihre Herstellung.
Text: Peter Hergersberg
Als Katharina Landfester zum ersten Mal ein Gläschen mit der milchigen Flüssigkeit in der Hand hielt, ahnte sie noch nicht, was da drinsteckt. In dem Gefäß schwappte eine Mixtur, die so unscheinbar ist wie ihr Name und mit Milch nicht nur das Aussehen teilt: eine Mini-Emulsion. Milch ist dafür ein prima Beispiel. In einer großen Menge Wasser verteilen sich winzige Fetttröpfchen, die nicht zuletzt von Proteinen und Fetten in der Schwebe gehalten werden.
Doch eine Mini-Emulsion aus dem Labor von Katharina Landfester macht mehr als die Milch. Aus ihren Tröpfchen stellt das Team der Chemikerin raffinierte Nanokugeln und -kapseln her und konstruiert auf diese Weise Vehikel für alles Mögliche: Die Teilchen könnten Medikamente gezielt zu Tumoren transportieren oder krankes Gewebe markieren, um es im Computer-tomographen sichtbar zu machen. Sie könnten aber auch helfen, Daten dichter auf Speicherchips zu packen.
Die Geschichte der multifunktionellen Teilchen beginnt 1997. Als Nachwuchsforscherin arbeitete Katharina Landfester damals mit Kolloiden: Teilchen oder Tröpfchen im Nano- oder Mikromaßstab, die in einem anderen Medium schweben. „Damals wollte ich bei einem Auslandsaufenthalt Anregungen für meine Forschung sammeln“, sagt Katharina Landfester, heute Direktorin am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz: „Für Kolloidchemiker gibt es weltweit aber nicht viele Adressen.“ So ging sie zu Mohammed El-Aasser an die Universität von Betlehem.
Der ägyptische Chemie-Verfahrenstechniker hatte in den 1970er-Jahren erstmals Mini-Emulsionen hergestellt, um eine einfache Route zu feinen Dispersionen zu öffnen: Mischungen, die wie Wand- oder Druckerfarbe sehr kleine Partikeln in einem flüssigen Medium enthalten. El-Aasser mischte die Ausgangsstoffe für Polymere in die ölige Komponente und ließ sie in den Mini-Emulsionen zu Kunststoffen reagieren, die gleich die Form von Nanokugeln annahmen. Allerdings hatte er es dabei nur auf einfache Kugeln abgesehen, die auch nur aus einer einzigen Art von Polymeren bestanden.
Auch in herkömmlichen Emulsionen, in denen die chemische Industrie bereits seit Jahrzehnten kleine Plastikkugeln produziert, sind die Möglichkeiten begrenzt. Nur simple Teilchen, die kaum kleiner als ein tausendstel Millimeter sind, entstehen darin, und ihre Größe variiert oft auch noch sehr stark. In solchen Öl-Wasser-Mischungen irgendeine Fracht zu verkapseln funktionierte nicht, weil die Ausgangsstoffe der Polymere schnell aus den Tröpfchen entweichen, die als chemische Reaktoren dienen.
Nanoteilchen mit Öffner, Anker und Tarnung
In den Mini-Emulsionen, die Mohammed El-Assers Gruppe mixte, hielten die tröpfchenförmigen Nanoreaktoren dagegen dicht. Daher beschlich Katharina Landfester bald das Gefühl, dass darin auch kompliziertere chemische Konstruktionen möglich sein müssten. Dass sie manche Versprechen der Nanotechnik einlösen könnten, hat sie sich damals jedoch auch noch nicht ausgemalt. Genau danach sieht es heute aus.
Die Teilchen, die Katharina Landfester und ihre Mitarbeiter konstruieren, kommen einer Vision recht nah, die sich in den 1990er-Jahren mit der Welt des Winzigen verband. Damals widmeten viele Wissenschaftler ihre Experimente im Nanomaßstab in einen eigenen Forschungszweig um, den sie Nanotechnologie nannten. Schnell entstand die Vorstellung, in gar nicht allzu ferner Zukunft könnten Roboter, kleiner als ein tausendstel Millimeter, in unserem Körper medizinische Präzisionsarbeit verrichten: Medikamente ausliefern, Adern putzen, wucherndes Gewebe zerstören.
Diese Idee bleibt vermutlich eine Vision, denn so bald wird es für diese Aufgaben wohl keine Nanoroboter geben. Doch immerhin bringen Katharina Landfester und ihre Mitarbeiter peu à peu einige der Jobs ihren Nanopartikeln bei – wenn diese dabei auch weniger spektakuläre Auftritte hinlegen als die Nano-Science-Fiction für winzige Maschinen vorsah.
Die Forscher um Katharina Landfester rüsten die Partikel mit einem Öffnungsmechanismus aus, geben ihnen Anker für bestimmte Zellen oder eine Tarnung, damit sich die Partikel ungehindert durch den Körper bewegen können. Diese Sonderaustattung verdanken die Teilchen allen möglichen Tricks der Chemie, mit denen die Polymerforscher arbeiten. Doch möglich gemacht haben das erst die grundlegenden Erkenntnisse, die Katharina Landfester als Leiterin einer Forschungsgruppe bei Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, über Mini-Emulsionen gewann.
Denn die Mini-Emulsionen der ersten Generation eigneten sich nicht, eine große Zahl unterschiedlicher Kunststoffteilchen herzustellen. Veränderten die Chemiker ihre Zusammensetzung, schlossen sich die Öltröpfchen über dem Wasser zu einer Ölschicht zusammen, ehe sich das Polymer gebildet hatte. Und wenn sie stabil blieben, war das dem Zufall unterworfen. So schien es zumindest. „Da war klar, dass wir uns die physikalisch-chemischen Prozesse in den Mini-Emulsionen einmal genau angucken müssten“, so Landfester: Wären diese verstanden, ließe sich die Zusammensetzung der Mini-Emulsionen vielleicht gezielt wählen, um vielfältige Nanoteilchen zu produzieren.
Wenn sie die Zusammenhänge heute erklärt, beginnt sie mit den Faktoren, die Milch homogen halten: Das fängt mit den Proteinen an, die deren Fetttröpfchen umhüllen. Sie wirken als Tensid, wie ein Spülmittel also, das die Tröpfchen daran hindert, sich zu vereinigen. Trotzdem rahmt Milch, die frisch von der Kuh kommt, schnell auf. Ihre Fetttröpfchen sind zum Teil groß und besitzen eine geringere Dichte, sodass sie nach oben steigen und die Sahneschicht bilden. Daher wird sie homogenisiert: Sie wird auf eine Metallplatte gespritzt, sodass die Fetttröpfchen in kleinere Kügelchen zerplatzen. Die sind so klein, dass ihr Auftrieb nicht mehr ausreicht, um sie an die Oberfläche zu schieben.
Die Mainzer Chemiker homogenisieren ihre Mini-Emulsionen mit einem Ultraschallstab. Für Anna Musyanovych gehört das zum Alltag. Sie leitet die Gruppe, die Chemie in Mini-Emulsionen betreibt. In einem eigens dafür bestimmten Labor stehen mehrere Metallschränke; jeder erreicht etwa die Größe eines Hängeschranks in einer Küche. Darin klemmt Anna Musyanovych kleine Gläschen mit einem Gemisch aus Öl, Wasser und einem Tensid so unter den Ultraschallstab, dass der knapp über dem Boden hängt. Mit einem zischenden Geräusch und nicht besonders starken, aber sehr schnellen Vibrationen zerreißt er die Öltröpfchen zu Nanotröpfchen.
Stabilität für winzige Tröpfchen
Doch Tensid und Tröpfchengröße halten eine Emulsion noch nicht mehrere Stunden stabil, nicht lange genug also, um darin Polymere herzustellen. Zur stabilen Mini-Emulsion wird sie erst durch einen Ko-Stabilisator: einen Stoff, der sich fast ausschließlich in den Öltröpfchen löst. „Ich hatte schon vermutet, dass es mit diesem Reagenz etwas auf sich hat“, sagt Katharina Landfester.
Tatsächlich stellte sie fest, dass die ominösen Substanzen als osmotische Reagenzien wirkten – wenn sie richtig gewählt waren. Auch in der Milch wirken bestimmte Fette wie osmotische Reagenzien, und zwar die besonders wasserunlöslichen. Dahinter kam Landfester, nachdem sie die Prozesse studiert hatte, die Öl und Wasser in einer Emulsion allmählich trennen. Neben den Kontakten zwischen den Tröpfchen, die das Tensid verhindert, trägt dazu die Ostwald-Reifung bei: Größere Öltröpfchen wachsen auf Kosten kleinerer. „In kleineren Tröpfchen herrscht ein höherer Binnendruck“, erklärt Katharina Landfester: „Das kennt man von einem Luftballon. Der lässt sich auch schwerer aufblasen, solange er klein ist.“ Dem Druck in den kleineren Tröpfchen weicht das Öl aus, indem es durch das Wasser in die größeren Tröpfchen diffundiert.
Verhindern lässt sich die Wanderung der Ölmoleküle durch einen Gegendruck. Und genau den baut das osmotische Reagenz auf, das in den Öltröpfchen gelöst ist. Da die Natur immer nach einem Gleichgewicht strebt, fühlt sich das Reagenz nämlich am wohlsten, wenn es sich in allen Tröpfchen gleich hoch konzentriert. Andernfalls kommt es zur Osmose.
Die Osmose erklärt Katharia Landfester wieder mit einem Beispiel aus dem Alltag: „Solange Salat im Wasser liegt, bleibt er knackig. Erst in der Salatsauce fällt er zusammen, weil die Ionenkonzentration im Essig höher ist als im Salatblatt.“ Um ein Gleichgewicht der Konzentration zu erreichen, sickert Wasser aus dem Blatt. Ähnliches geschähe in einer Mini-Emulsion, wenn sich das osmotische Reagenz in einem schrumpfenden Bläschen konzentrieren würde, während es sich in einem wachsenden verdünnte. Daher findet die Ostwald-Reifung ein Ende, ehe sie richtig begonnen hat.
„Nachdem das klar war, konnten wir Mini-Emulsionen mit den Ausgangsstoffen für viele verschiedene Reaktionen herstellen“, sagt Landfester. Der Fantasie für chemische Nanotüfteleien waren nun kaum noch Grenzen gesetzt, denn die Mini-Emulsionen liefern fast alles, was die Kunststoffindustrie zu bieten hat: Polyacrylate, die etwa in Acrylglas Verwendung finden, Polyurethane, die als Schaumstoffe Häuser dämmen, Polyester, Nylon oder biologisch abbaubare Polymere wie Stärke und sogar halbleitende Polymere.
Züchten die Forscher Nanokugeln aus zwei Kunststoffen, die sich nicht mischen, bilden sich sogar Janus-Partikel mit zwei Polymergesichtern. „Solche Nanoteilchen können einer Beschichtung zwei Eigenschaften geben“, erklärt Anna Musyanovych. Oder sie kombinieren zwei halbleitende Polymere für eine Solarzelle.
Die Vielfalt der Polymere, die sich nun in den Mini-Emulsionen erzeugen ließ, nutzten die Chemiker um Katharina Landfester nun, um zum Beispiel Farbpigmente wie Rußpartikel zu verpacken. „Die mischen wir mit den Komponenten des Kunststoffs in die ölige Flüssigkeit“, erklärt Anna Musyanovych. Anschließend stoßen die Forscher die Bildung des Polymers an, das die Pigmente wie von selbst ummantelt. Einige Hersteller von Druckerfarbe verhindern auf diese Weise bereits, dass die Pigmente verklumpen. Ihre Tinten liefern daher besser aufgelöste Bilder, die zudem nicht verschmieren.
„Dann dachten wir: Wenn das mit Pigmenten funktioniert, müsste es doch eigentlich auch mit Magnetit gehen“, so Landfester. Nanoteilchen des eisenhaltigen und daher magnetischen Magnetits muss ein Patient als Kontrastmittel gespritzt bekommen, bevor ein Arzt im Kernspintomografen etwa seine Leber untersucht. Da pure Magnetit-Partikel im Wasser und somit auch im Blut nicht stabil sind und sich zudem auflösen können, brauchen sie eine schützende Hülle.
Sie in einer Mini-Emulsion zu verpacken, bietet die Chance, die Teilchen als magnetische Sonden für unterschiedliche Gewebearten und Tumore in den Körper zu schicken. Zu diesem Zweck müssen die Mainzer Chemiker die Nanopartikel mit Antikörpern ausrüsten, die zugleich wie Adressschildchen, Anker und Türöffner für bestimmte Körperzellen wirken. Also hüllen sie das Kontrastmittel in einen Polymermantel, aus dessen Oberfläche chemische Halterungen herausragen. Daran lassen sich dann die Antikörper heften.
Eine Schicht, die Teilchen wasserscheu macht
Damit die Wachtposten des Immunsystems die fremdartigen Partikel nicht schon auf dem Weg zu ihren Zielzellen aus der Blutbahn fischen, brauchen die verpackten Magnetit-Teilchen außerdem eine Tarnung. Auch dafür finden die Forscher ein geeignetes Material im Bauchladen der Polymere: Polyethylenglykol, kurz PEG, das die Immunabwehr nicht alarmiert. In die Mixtur der Magnetit-Verpackung rühren die Forscher nun auch Komponenten mit PEG-Anhängseln. Die fertigen Teilchen tragen dann nicht nur Halterungen für die biochemischen Adressschildchen, sondern auch tarnende PEG-Fäden.
Mit der Idee einer ausgeklügelten, multifunktionellen Verpackung für die Magnetit-Teilchen gibt es nur ein Problem: Die Partikel sperren sich erst einmal gegen jegliche Form von Plastikmantel. Wenn Anna Musyanovych sie nämlich mit Öl, Wasser und den anderen Komponenten zusammenmischen würde, schwämmen sie anschließend ausschließlich im wässrigen Teil und nicht in den Öltröpfchen: Magnetit zieht Wasser als Aufenthaltsort eindeutig vor. „Daher müssen wir die Magnetit-Teilchen hydrophobisieren“, sagt Anna Musyanovych. Die Chemikerin verkehrt die Vorliebe für eine wässrige Umgebung also in eine Vorliebe für eine ölige Nachbarschaft, indem sie zunächst einen Ölsäurefilm um die Magnetit-Teilchen legt und anschließend in die Multifunktionshülle einpackt.
Wenn sich die Nanopartikel gezielt zu bestimmten Zellen schicken lassen, liegt es nahe, sie auch als Fähren für Medikamente einzusetzen. Doch Wirkstoffe, die in festen Kunststoff-Kügelchen eingeschweißt sind, helfen da nicht weiter. Sie sollten ihre Wirkungsstätte am besten flüssig erreichen. Auch einige Kontrastmittel für Untersuchungen im Kernspintomografen gibt es nur in flüssiger Form. „Unser nächster Gedanke war also, eine Flüssigkeit zu verkapseln“, sagt Katharina Landfester. Und zwar möglichst eine wässrige. Denn der Kapselinhalt mit einem gelösten Wirkstoff soll sich schließlich mit dem wässrigen Medium des Zellinneren mischen.
Um Polymere in Wassertröpfchen zu erzeugen, hatten die Forscher zu diesem Zeitpunkt schon eine Lösung parat: die inverse Mini-Emulsion. Sie besteht hauptsächlich aus Öl, in dem Wassertröpfchen schweben. Nun müssen sich die Ausgangsstoffe der Kunststoffe, die sich in den Tröpfchen bilden, in Wasser statt Öl lösen. Auch von diesen Stoffen gibt es reichlich.
Ordnungshilfe für den Bau von Datenspeichern
Wenn die Chemiker ein Wassertröpfchen mit einer festen Hülle versehen wollen, hilft ihnen zudem, dass sich viele Polymere als feste Teilchen aus der Flüssigkeit absetzen, sobald sie sich bilden. Meistens aber nicht am Tröpfchenrand, sondern als winzige Polymerkörnchen im Inneren der Flüssigkeitsbläschen. Doch auch hier hilft die Vielfalt der Chemie: Manche Polymere entstehen aus einer Komponente, die sich in der wässrigen Flüssigkeit löst, und einer, die eine ölige Umgebung vorzieht. Zum Kettenmolekül finden beide nur an der Grenze der Flüssigkeiten zusammen, nämlich am Tröpfchenrand. So bildet das wachsende Polymer wie von selbst eine Kapsel.
Mit dieser Kapsel lässt sich ein Wirkstoff also etwa in eine Tumorzelle schleusen – fehlt nur noch der Öffner, um das Mittel freizusetzen. Aber natürlich bietet die Chemie auch für dieses Problem eine Lösung. Mehrere sogar, je nachdem ob sich die Kapsel durch eine erhöhte Temperatur, veränderte Säure-Base-Eigenschaften des Milieus, Enzyme oder UV-Licht öffnen lassen soll. Die Chemiker um Katharina Landfester bauen in die Kunststoffkapseln einfach chemische Sollbruchstellen ein, die den Inhalt freigeben, wenn der passende Mechanismus die Kapsel durchlöchert.
Bislang verlief die Entwicklung der Zauberkugeln ziemlich planmäßig. „Meistens haben alle Schritte so oder so ähnlich funktioniert, wie wir uns das vorher überlegt hatten“, sagt Katharina Landfester. Nur einmal sah es fast so aus, als würde ein Projekt scheitern. „Wir wollten mit Nanopartikeln Nanolithografie betreiben“, erklärt die Forscherin. Mit Nanokapseln versuchten die Chemiker Nanohäufchen eines Metallsalzes auf einer Unterlage zu erzeugen, und zwar in einem regelmäßigen Muster, das sich von selbst bildet. Solche Salzkörnchen lassen sich in Metallpunkte verwandeln, die als Datenspeicher dienen könnten.
Doch die Teilchen zeigten erst einmal keinen ausgeprägten Ordnungssinn: „Wir haben zunächst Nanokapseln mit der Lösung eines Metallsalzes geformt“, so Landfester. Die Kapseln ließen sich zwar schön regelmäßig auf einer Unterlage nieder. Sobald die Forscher sie aber austrockneten, setzten sich die Salzhäufchen nicht in einem ordentlichen Muster ab.
So endete auch der Versuch, Salzkörner in Kunststoff einzuschweißen, die gefüllten Kugeln auf der Oberfläche zu verteilen und das Polymer anschließend mit einem Plasmastrahl wegzuätzen. „Zuerst hat nichts von dem geklappt, was wir ausprobiert haben“, klagt die Chemikerin. Dann aber haben die Forscher das Salz in dem Kunststoff gelöst. Wenn sie nun das Polymer mit dem Plasmastrahl abtrugen, zogen sich die Kugeln wie schrumpfende Luftballons zusammen, bis schließlich – genau in ihrer Mitte – die Salzpunkte zurück- blieben. Deren Größe steuern die Chemiker nun über die Salzmenge im Polymer, den Abstand über die Größe der Polymerkugeln.
So können die Chemiker inzwischen je nach Zweck alle möglichen Kapseln und Teilchen basteln. Einfache Kapseln könnten in einem Wachmittel langsam Parfüm freisetzen oder in Zahnpasta Biominerale, die defekten Zahnschmelz regenerieren.
Giftige Postpakete für Tumorzellen
Komplizierter gebaute Nanokapseln haben die Mainzer Chemiker für Mediziner der Uniklinik in Ulm präpariert. Sie könnten helfen, geschädigtes Gewebe zu heilen. Die Nanokapseln enthalten Substanzen, die Stammzellen zur Differenzierung anregen. Stammzellen und Nanokapseln schleusen die Mediziner in das kranke Gewebe. Dort bringt die Fracht der Nanovehikel die Stammzellen dazu, gesundes Herzgewebe zu bilden. Für dasselbe Projekt haben die Mainzer Chemiker auch fluoreszierende Substanzen und magnetische Kontrastmittel in Nanopartikel gepackt, die in die Stammzellen eindringen. Die Teilchen zeigen den Ulmer Ärzten unter geeigneten Mikroskopen beziehungsweise im Kernspintomgrafen, welche Wege die Stammzellen im Gewebe nehmen.
Für Biotechnologen der Universität Stuttgart hat das Team von Katharina Landfester einen Wirkstoff-Container konstruiert, der aufgebaut ist wie eine Haselnuss und Brusttumore bekämpfen könnte. Den Kern bildet ein Nanoteilchen, dessen Oberfläche mit einem starken Gift überzogen ist. Damit es nur den Tumor, diesen dafür aber umso heftiger attackiert, verkapseln die Chemiker den Kern und adressieren die giftige Sendung mit passenden Antikörpern an die Krebszellen. Gesunde Zellen verschont das Gift dagegen weitgehend. Zu einem marktreifen Medikament müsste die Pharmaindustrie die Wirkstoff-Container weiterentwickeln. „Meines Erachtens hat da in den vergangenen Jahren aber die Risikobereitschaft abgenommen, Ansätze zu verfolgen, die sich noch im Stadium der Grundlagenforschung befinden“, sagt Katharina Landfester.
Vielleicht finden Teilchen mehrerer Kapseln auch in der Gentechnik oder gar der Gentherapie Anwendung. Solche Partikel könnten nämlich als Vehikel für DNA oder RNA dienen. Die äußere Hülle könnte den Türöffner für die Zelle tragen, die innere den Partikeln Zugang zum Kern verschaffen. Wie sich Gene am geschicktesten ins Erbgut schleusen lassen, untersuchen die Kolloidforscher gemeinsam mit Forschern der Universität Mainz. Derzeit prüfen sie, wie die Oberflächen der Teilchen beschaffen sein müssen, damit diese in den Kern eindringen.
Ein ähnliches Problem beschäftigt sie auch bei dem Versuch, Nanopartikel durch die Blut-Hirn-Schranke zu schmuggeln. Diese physiologische Barriere schützt das zentrale Nervensystem vor Eindringlingen und verwehrt auch den meisten Arzneimitteln den Weg. Daher scheitern viele potenzielle Medikamente gegen Erkrankungen der Nerven an ihr. Nun drehen die Mainzer Polymerforscher an allen möglichen Stellschrauben, um ihren Partikeln eine Zutrittsberechtigung zum Gehirn zu verschaffen. Katharina Landfester vermutet, dass auch hier die Oberflächen der Partikel entscheidend sind.
„Ich glaube allerdings, wir müssen uns noch einmal genau die chemischen Details der Blut-Hirn-Schranke anschauen“, sagt sie. Mediziner hätten bislang zu sehr das System als Ganzes im Blick gehabt. Sie will sich diesem Problem deshalb mit demselben Blick nähern, der ihr schon das Potenzial der Mini-Emulsionen offenbart hat – dem Blick der Kolloid-Chemikerin nämlich.
Glossar
Mini-Emulsion
Ein Gemisch von Öl und Wasser, wobei Tröpfchen der einen Flüssigkeit fein verteilt in der anderen schweben. Im Gegensatz zur herkömmlichen Emulsion werden die Tröpfchen mit Ultraschall zu ziemlich einheitlicher Größe im Nanomaßstab zerrissen. Zudem wird die Mini-Emulsion durch das osmotische Reagenz stabilisiert: eine Substanz, die fast nur in den Tröpfchen löslich ist und verhindert, dass die größeren Tröpfchen auf Kosten der kleineren wachsen.
Polymere
Darunter fallen alle Kunststoffe. Sie bestehen aus ketten- oder netzförmigen Molekülen, die sich aus Bausteinen eines Monomers, manchmal auch verschiedener Monomere, zusammensetzen. Sie werden nach Ausgangsstoffen und Art ihrer Verkettung unterschieden.
Tensid
Stoff, dessen Moleküle ein wasserlösliches und ein öllösliches Ende aufweisen.
Polyethylenglykol
besitzt eine sehr geringe Toxizität und wird als Wirkstoffträger in der Medizin eingesetzt.