Der Tanz eines rätselhaften Tandems

Forschende entdecken ein System aus Pulsar und unbekanntem Objekt an der Grenze zwischen schwarzem Loch und Neutronenstern

Wenn sich Astronominnen und Astronomen etwas nicht direkt erklären können, wird es oft erst richtig spannend. Ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie und mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik hat nun ein rätselhaftes Tandem entdeckt, das so noch nie beobachtet wurde: ein System aus einem Neutronenstern und einem Objekt, das es auf den ersten Blick gar nicht geben dürfte. Doch es gibt eine heiße Spur.

Forschende der internationalen Kollaboration „Transients and Pulsars with MeerKAT“ (Trapum) haben ein neues System zweier sich umkreisender Objekte entdeckt, das sich im Kugelsternhaufen NGC 1851 im südlichen Sternbild Columba (Taube) befindet. Eines haben beide Objekte höchstwahrscheinlich gemein: beide müssen, wenn auch über Umwege, aus den Überresten massereicher Sterne hervorgegangen sein, also aus Neutronensternen oder schwarzen Löchern.

Die meisten besonders massereichen Sterne entstehen in Mehrfachsternsystemen. Und genau diese Sterne sterben am Ende ihres Lebens in einer spektakulären Supernova-Explosion. Die Überreste: Schwarze Löcher oder Neutronensterne, die sich umkreisen, wenn das System die Explosion überlebt hat. Bisher wurden nur Tandems nachgewiesen, die jeweils aus zwei schwarzen Löchern oder zwei Neutronensternen bestehen. Dies gelang über die Gravitationswellen, die sie bei ihrem engen Tanz aussenden.

Ein Pulsar gibt den Takt an

Klarheit herrscht immerhin bei einem der beiden Objekte. Das Team verwendete das empfindliche MeerKAT-Radioteleskop in Südafrika in Verbindung mit leistungsstarken Detektoren des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie und registrierte schwache Pulse. Es handelt sich um einen Neutronenstern mit einem starken Magnetfeld, der sich sehr schnell dreht und dabei Radiostrahlung entlang entgegengesetzter Lichtkegel abstrahlt, die wie bei einem kosmischen Leuchtturm durch das Universum streifen. Der neu entdeckte Pulsar mit der Bezeichnung PSR J0514-4002E dreht sich mehr als 170 Mal pro Sekunde um die eigene Achse und trifft mit seinem Radiolichtkegel dabei entsprechend oft die Erde. Mit jeder Umdrehung registriert das Radioteleskop einen Puls, ähnlich dem Ticken einer Uhr. Der sogenannte Radiopulsar tickt dabei extrem regelmäßig.

Kleine Abweichungen oder Gangunterschiede dieser Uhr nutzten die Forschenden hier, um auf einen Begleiter zu schließen, der als Teil eines Binärsystems gemeinsam mit dem Pulsar einen gemeinsamen Schwerpunkt umkreist. Der Doppler Effekt führt dazu, dass die Radiofrequenz des Pulsars sich durch die Bewegung im Orbit so verändert, wie die Frequenz einer Feuerwehrsirene, die sich für einen Beobachter verändert, an der sie vorbeifährt. So ließ sich auch der Orbit des Pulsars um das mysteriöse Objekt bestimmen. „Stellen Sie sich vor, Sie könnten eine fast perfekte Stoppuhr in die Umlaufbahn eines fast 40.000 Lichtjahre entfernten Sterns bringen und dann die Zeit der Umläufe mit Mikrosekundengenauigkeit messen“, sagt Ewan Barr, der die Studie zusammen mit seiner Kollegin Arunima Dutta geleitet hat. Beide sind Teil des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie.

„Als wir Hubble-Bilder anschauten, sahen wir nichts“

Unklarer steht es um das Begleitobjekt, das den Pulsar umkreist. „Als wir uns Hubble-Bilder von NGC 1851 anschauten, sahen wir an dieser Position nichts“, erklärt Prajwal Voraganti Padmanabh, Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover. „Daher ist das Objekt, das mit dem Pulsar den gemeinsamen Schwerpunkt umrundet, kein normaler Stern, sondern ein extrem dichter Überrest eines kollabierten Sterns.“ Würde es sich hier außerdem um einen Stern handeln, so würde dieser, wie auch die Sonne, einen Sternwind abstrahlen, den der Radiolichtkegel des Pulsars passieren müsste, ehe das Radioteleskop ein Signal empfängt. In dem Fall würde der Sternenwind die Frequenzen des Radiosignals charakteristisch beeinflussen. In den Radiodaten finden sich aber keine Anzeichen für einen solchen Effekt. Alles deutet darauf hin, dass es sich bei dem mysteriösen Objekt um einen extrem dichten Überrest eines kollabierten Sterns handelt: ein schwarzes Loch oder ein weiterer Neutronenstern, der jedoch kein Radiolicht aussendet.

Die Spurensuche geht weiter: Aus den Messungen der Gangunterschiede der Pulsar-Uhr folgerten die Astronominnen und Astronomen nicht nur die Umlaufbahn, sondern grenzten auch die Masse des zweiten Objekts ein. Zwischen 2.09 und 2.71 Sonnenmassen soll es wiegen. Damit könnte der Begleiter schwerer sein als die schwersten bekannten Neutronensterne (etwa zwei Sonnenmassen) und gleichzeitig leichter als die leichtesten bekannten schwarzen Löcher (etwa fünf Sonnenmassen). Das kompakte Begleitobjekt, das Forschende mit Hilfe des Radiopulsars aufspürten, fällt also genau in die sogenannte Massenlücke schwarzer Löcher. Warum bisher noch kein anderes kompaktes Objekt zwischen zwei und fünf Sonnenmassen gefunden wurde, ist nicht gänzlich geklärt. „Was auch immer dieses Objekt ist, es ist eine aufregende Nachricht“, sagt Paulo Freire vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie. „Wenn es sich um ein schwarzes Loch handelt, ist es das erste bekannte Pulsar-Schwarzes-Loch-System, dessen Entdeckung seit Jahrzehnten den Heilige Gral der Pulsarastronomie darstellt! Wenn es sich um einen Neutronenstern handelt, wird dies grundlegende Auswirkungen auf unser Verständnis des unbekannten Zustands der Materie bei diesen unglaublichen Dichten haben!“

Aus Neutronensternen geboren?

Neutronensterne, die ultradichten Überreste einer Supernova-Explosion, können nur eine bestimmte Maximalmasse erreichen. Sobald sie zu viel Masse angehäuft haben, zum Beispiel durch das Verschlucken eines anderen Sterns oder durch die Kollision mit einem anderen Neutronenstern, stürzen sie in sich zusammen. Was bei einem solchen Kollaps aus ihnen wird, ist Anlass für zahlreiche Spekulationen. Die vorherrschende Meinung ist jedoch, dass Neutronensterne zu schwarzen Löchern kollabieren, also zu Objekten, die ein so starkes Gravitationsfeld haben, dass nicht einmal Licht ihnen entkommen kann. Die Theorie, die durch Beobachtungen gestützt wird, besagt, dass die leichtesten schwarzen Löcher, die durch kollabierende Sterne entstehen können, etwa fünf Sonnenmassen betragen. Dies ist erheblich mehr als die 2,2-fache Sonnenmasse, die für den Kollaps eines Neutronensterns erforderlich ist, was zu der so genannten Massenlücke bei schwarzen Löchern führt. Die Art der kompakten Objekte in dieser Massenlücke ist bisher unbekannt. Eine detaillierte Untersuchung hat sich als schwierig erwiesen, da solche Objekte bisher nur durch Gravitationswellen aus dem fernen Universum entdeckt werden konnten.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können noch nicht abschließend sagen, ob sie den massereichsten bekannten Neutronenstern, das leichteste bekannte schwarze Loch oder gar eine neue exotische Sternvariante entdeckt haben. Sicher ist jedoch, dass es sich um ein einzigartiges Labor handelt, um die Eigenschaften von Materie unter den extremsten Bedingungen im Universum zu erforschen. „Wir sind mit diesem System noch nicht fertig“, sagt Arunima Dutta. „Die Aufdeckung der wahren Natur des Begleiters wird einen Wendepunkt in unserem Verständnis von Neutronensternen, schwarzen Löchern und allem, was sonst noch in der Massenlücke des schwarzen Lochs lauern könnte, darstellen.“

NJ, BEU, BK

Hintergrundinformationen

Eine mögliche Erklärung für das neu entdeckte kompakte Objekt: 

Das beobachtete System dürfte das Ergebnis eines exotischen Vorgangs sein, der nur durch die lokalen Begebenheiten im Kugelsternhaufen NGC 1851 möglich gewesen sein könnte. Die Sterne in diesem Haufen sind viel dichter gepackt als im übrigen Teil der Galaxis. Durch den geringen Abstand können die Sterne gegenseitig ihre Bahnen stören und im Extremfall sogar miteinander kollidieren. Aus einer solchen Kollision dürfte das jetzt entdeckte Objekt entstanden sein.

Auf der linken Seite der Abbildung wird gezeigt, wie der Millisekunden-Pulsar PSR J0514-4002E (MSP) entstanden sein könnte. Ein Neutronenstern saugt durch die Gravitationskräfte Materie von einem Begleitstern auf. Damit wird auch zusätzlicher Drehimpuls auf den Neutronenstern übertragen, was die Rotation um seine eigene Achse beschleunigt. Das Resultat ist ein sich schnell drehender Pulsar und ein Weißer Zwerg, die einander umkreisen - eine typische Konfiguration, die in der gesamten Galaxis zu beobachten ist.

Auf der rechten Seite der Abbildung ist abgebildet, wie das rätselhafte Begleitobjekt des Radiopulsars entstanden sein könnte. Zwei sich umkreisende Neutronensterne (NS + NS) strahlen Gravitationswellen ab, wodurch dem System Energie verloren geht und die Umlaufbahn der beiden mit der Zeit schrumpft. Das führt schließlich dazu, dass die Neutronensterne explosiv verschmelzen. Das Ergebnis ist ein isoliertes massearmes Schwarzes Loch (BH) oder möglicherweise ein supermassereicher Neutronenstern. Zu einem späteren Zeitpunkt treffen das Schwarze Loch und der Doppelstern aus Pulsar und Weißem Zwerg aufeinander. Dabei wird der leichteste der drei Sterne, in diesem Fall der Weiße Zwerg, aus der Umlaufbahn geschleudert. Das Ergebnis ist ein stabiles Pulsar-Schwarzes-Loch-System, welches möglicherweise in dieser Studie entdeckt wurde.

MeerKAT: Das vom South African Radio Astronomy Observatory (SARAO) betriebene MeerKAT-Teleskop ist das größte Radioteleskop der südlichen Hemisphäre und eines von zwei Vorläuferinstrumenten für das SKA-Observatoriums (SKAO) in Südafrika. Das in der Karoo-Halbwüste gelegene Radioteleskop wird demnächst im Rahmen des von SARAO und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) gemeinsam finanzierten Projekts "MeerKAT+" um eine zusätzliche Anzahl von Parabolspiegeln erweitert werden. MeerKAT wird später schrittweise in das „Mid-Frequency“--Teleskop des SKAO in Südafrika integriert.

TRAPUM: „Transients and Pulsars with MeerKA“ (TRAPUM) ist ein laufendes Durchmusterungsprojekt mit dem Radioteleskop MeerKAT. Die Mitglieder des Projekts bilden eine internationale Kollaboration von Universitäten und Forschungsinstituten aus 10 Ländern unter der Leitung von Prof. Michael Kramer (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Deutschland) und Prof. Benjamin Stappers (University of Manchester, Großbritannien). Das Ziel der TRAPUM-Durchmusterung und der Zusammenarbeit ist die Beobachtung von Quellen von besonderem Interesse bei der Suche nach Radiopulsaren. Die Beobachtungen konzentrieren sich auf von Fermi-LAT entdeckte Gammastrahlenquellen, Kugelsternhaufen, Supernovaüberreste und nahe Galaxien. Bis heute wurden im Rahmen von TRAPUM und seiner Schwesterprojekte mehr als 200 Pulsare mit MeerKAT entdeckt.

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