Home sweet Home?
Die Wohngegend hat Einfluss auf die Kriminalitätsfurcht von Menschen mit Gewalterfahrungen
Menschen, die Opfer einer Straftat wurden, reagieren anders darauf, wenn sie aus einem benachteiligten Stadtviertel kommen: Ihre Angst vor Kriminalität steigt nach der erlebten Straftat stärker an als bei Opfern aus begünstigten Wohngegenden. Zu dieser Schlussfolgerung kommen Florian Kaiser und Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht auf der Basis von mehr als 3000 Befragten in Köln und Essen.
Dass Menschen nach einer Opfererfahrung eine größere Furcht vor Kriminalität haben als davor, gilt in der kriminologischen Forschung als gesichert. Aber inwieweit beeinflusst die Wohnumgebung diesen furchtsteigernden Effekt? Um dies herauszufinden, haben Forschende des Freiburger Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht 3300 Erwachsene in 140 unterschiedlichen Wohngebieten in Köln und Essen wiederholt befragt: Das erste Mal im Frühling 2014, eine zweite Befragungsrunde folgte dann im Herbst 2015. Solch eine wiederholte Befragung derselben Personen ermöglicht es den Forschenden, die Veränderungen der Kriminalitätsfurcht in Abhängigkeit von einer Gewalterfahrung im eigenen Wohngebiet zu untersuchen. Dadurch können Ursache-Wirkungsbeziehungen genauer analysiert werden.
Die Studie ergab: Bei Bewohnerinnen und Bewohnern benachteiligter Stadtviertel steigert sich nach einer erlebten Gewalttat die Angst davor, erneut Opfer eines Verbrechens zu werden, stärker als bei Menschen aus privilegierteren Wohngebieten. In benachteiligten Stadtvierteln wohnen besonders viele Empfänger von Sozialleistungen und Menschen mit Migrationshintergrund. In Großstädten sind die Wohngebiete sehr stark nach Einkommen, sozialem Status und ethnischer Herkunft aufgeteilt („segregiert“). Besonders solche Befragte, die in Stadtvierteln mit mehr als 30 Prozent Sozialleistungsempfängernínnen und -empfängern wohnen, zeigten einen deutlich stärkeren Anstieg der Furcht als alle anderen Befragten. Eine hohe Kriminalitätsbelastung oder Zeichen von Unordnung im öffentlichen Raum führten demgegenüber nicht zu höheren Furchtsteigerungen.
„Eine Erklärung für unsere Befunde ist, dass Menschen in besonders benachteiligten Wohngegenden neben ihren eigenen Problemen zusätzlich auch mit einer Vielzahl an sozialen Problemlagen in ihrer Nachbarschaft konfrontiert sind und dies zusammengenommen ihre Fähigkeiten überfordern kann, eine Opfererfahrung gut zu verarbeiten. Ärmere Menschen haben ohnehin weniger finanzielle und häufig auch psychologische Ressourcen, Krisen und Schicksalsschläge zu meistern. Ein Übermaß an eigenen problematischen Erfahrungen und denen in der Nachbarschaft steigert daher die Unsicherheit und die Angst vor weiteren Straftaten“, erklärt Max-Planck-Wissenschaftler Florian Kaiser.
Eine einfache Lösung für dieses Dilemma können die Wissenschaftler nicht anbieten, zumal die soziale Segregation in Großstädten in den letzten Jahren in Folge der in Deutschland steigenden Einkommensungleichheit noch zugenommen hat. Das Wissen über die negativen Folgen der räumlichen Konzentration von sozialen Benachteiligungen sollte dazu beitragen, über sozialpolitische Maßnahmen, aber auch über einen Abbau von Vermögens- und Einkommensungleichheiten nachzudenken. „Investitionen in Kindergärten und Schulen in benachteiligten Wohngebieten, wie gerade von der Bundesregierung beschlossen, können langfristig ebenfalls zur Stärkung der betroffenen Menschen beitragen“, erklärt Kaiser.
Hintergrundinformationen
Die am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht angesiedelte Unabhängige Forschungsgruppe Space, Contexts, and Crime unter der Leitung von Dietrich Oberwittler beschäftigt sich mit den Zusammenhängen von sozialen Prozessen und Kriminalität in urbanen Räumen. Mehr Informationen unter forschungsgruppen/space-contexts-and-crime.