Wen häufige Polizeikontakte abschrecken
Jugendliche Straftäter lassen sich von Erfahrungen mit der Polizei abschrecken. Entscheidend sind ihre Moralvorstellungen.
Jugendliche Straftäter lassen sich von häufigen Erfahrungen mit der Polizei abschrecken. Je häufiger sie von der Polizei belangt wurden, desto stärker wird ihre Risikowahrnehmung und desto eher sehen sie von kriminellem Verhalten ab. Allerdings trifft das nicht auf alle Jugendlichen gleichermaßen zu, sondern besonders auf junge Menschen mit weniger starken Moralvorstellungen. Das ergab eine Untersuchung von Florian Kaiser, Postdoc am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg. Die Erkenntnisse des Artikels spielen eine wichtige Rolle für die künftige Ausrichtung der Polizeiarbeit. Kaiser wurde mit dem renommierten Preis “Best Article Award” der European Society of Criminology (ESC) ausgezeichnet.
Aus früheren kriminologischen Studien ist bekannt, dass Jugendliche ihr kriminelles Verhalten überdenken oder eher von kriminellem Verhalten absehen, wenn sie ein hohes Risiko sehen, von der Polizei erwischt zu werden. Eine Gruppe von Wissenschaftlern um den Freiburger Kriminologen und Soziologen Florian Kaiser hat nun in einer Studie mit rund 1400 Jugendlichen untersucht, welche Rolle dabei vergangene Polizeierfahrungen spielen und welche Gruppe von Jugendlichen sich insbesondere von früheren Polizeikontakten beeinflussen lässt. In einer breit angelegten Abfrage im Rahmen des Projekts „Kriminalität in der modernen Stadt“ gaben die Jugendlichen hierfür an, ob und welche Straftaten sie begangen haben und ob und wenn ja, wie oft die Polizei von diesen Straftaten erfuhr. Zugleich befragten die Wissenschaftler die Jugendlichen dahingehend, wie hoch sie das Risiko einschätzten, bei verschiedenen Taten erwischt zu werden und wie sie die Taten moralisch bewerteten, also wie schlimm sie jene fanden.
Das Ergebnis: Nicht alle jugendlichen Straftäter, die in der Vergangenheit von der Polizei erwischt wurden, werden durch jene Erfahrung gleichermaßen in ihrer Risikowahrnehmung beeinflusst. Personen mit einer schwachen Moral – also mit nicht-konformen, nicht dem Gesetz entsprechenden Moralvorstellungen – erhöhen ihre Risikowahrnehmung erheblich, nachdem sie von der Polizei „entdeckt“ wurden. Bei Jugendlichen mit „stärkeren“ Moralvorstellungen dagegen haben frühere Polizeikontakte kaum Einfluss auf ihre Risikowahrnehmung. Das kann den Wissenschaftlern zufolge daran liegen, dass Menschen mit starken Moralvorstellungen gar nicht erst abgeschreckt werden müssen, da sie ohnehin kaum in Erwägung ziehen, Straftaten zu begehen und somit Risikowahrnehmungen bzw. -abwägungen keine Relevanz haben. „Diese differenzierten Ergebnisse können für die Sanktionsforschung und für die Polizeiarbeit enorm wichtig sein“, erläutert Florian Kaiser.
Bisher war man sich in Expertenkreisen uneins, ob eine verstärkte Polizeipräsenz auf jugendliche Straftäter abschreckend wirkt. Die neue Studie deutet darauf hin, dass Polizeikontakte zumindest bei einer bestimmten Gruppe von Jugendlichen sehr wohl die Risikowahrnehmung beeinflussen können. „Diese gesteigerten Risikowahrnehmungen halten dann im besten Fall die Jugendlichen von weiteren Straftaten ab“, so das Fazit von Florian Kaiser.
Die Ergebnisse der Studie sind im wissenschaftlichen Paper „Differential updating and morality: Is the way offenders learn from police detection associated with their personal morals?” zu finden, das im vergangenen Jahr im European Journal of Criminology erschienen ist. Die Fachgesellschaft European Society of Criminology (ESC) zeichnete die Publikation mit dem "Best Article Award 2023” aus. Die Autoren des Papers, Florian Kaiser und die beiden Co-Autoren Björn Huss und Marcus Schaerff, nahmen die Auszeichnung am 11. September während der 24. Jahreskonferenz der ESC in Bukarest entgegen.