Naturvideos können Schmerzen lindern
Eine neue Studie zeigt, welche Effekte Naturfilme auf die Verarbeitung von Schmerzsignalen im Gehirn haben

Auf den Punkt:
- Natur wirkt: Eine neue Neuroimaging-Studie untersuchte die Verarbeitung von Schmerzsignalen im Gehirn beim Betrachten von Naturvideos.
- Schmerzpatientinnen und -patienten berichteten von weniger Schmerzen und zeigten eine geringere Aktivität in Gehirnregionen, die mit der spezifischen Schmerzverarbeitung verbunden waren.
- Sinnvolle Ergänzung: Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von naturbasierten Therapieansätzen in der Schmerzbehandlung.
Naturvideos können akute körperliche Schmerzen lindern, auch ohne direkt in der Natur zu sein. Schon das Betrachten von virtuellen Naturvideos kann diesen Effekt haben, wie ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Wien und mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung herausgefunden hat. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie wiesen die Forschenden nach, dass Schmerzen dabei nicht nur als weniger intensiv empfunden und unangenehm bewertet wurden, sondern auch dass die mit den Schmerzen verbundene Gehirnaktivität reduziert ist. Diese Ergebnisse, veröffentlicht in Nature Communications, unterstreichen das Potenzial naturbasierter Therapien als ergänzende Ansätze in der Schmerzbehandlung.
„Die Verarbeitung von Schmerzen ist ein komplexer Prozess“, erklärt Studienleiter und Doktorand Max Steininger von der Universität Wien. Um jenen Prozess besser zu verstehen und Therapiemöglichkeiten zu finden, haben Steininger und seine Kolleginnen und Kollegen von den Universitäten Exeter und Birmingham (UK) sowie dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin den Zusammenhang von Natur und Schmerzen untersucht: Schmerzgeplagte Probandinnen und Probanden bekamen drei unterschiedliche Videos zu sehen: eine Szene in der freien Natur sowie eine im Innenraum, und eine städtische Szene zum Vergleich. Dabei mussten die Teilnehmenden die Schmerzen selbst bewerten, zusätzlich wurde ihre Gehirnaktivität mithilfe eines funktionellen Magnetresonanztomographen gemessen.
Naturvideos verringern frühe, körperbezogene Schmerzsignale
Die Ergebnisse waren eindeutig: Beim Betrachten der natürlichen Szene berichteten die Teilnehmenden nicht nur von weniger Schmerzen, sondern zeigten auch eine geringere Aktivität in Gehirnregionen, die mit der Schmerzverarbeitung verbunden waren. Analysen der Gehirnaktivität zeigten, dass das Betrachten von Natur vor allem die frühen, körperbezogenen Schmerzsignale verringerte. „Die Schmerzverarbeitung setzt sich wie ein Puzzle aus verschiedenen Teilen zusammen, die im Gehirn unterschiedlich verarbeitet werden. Einige Puzzleteile bestimmen unsere emotionale Reaktion auf den Schmerz, also etwa, ob wir ihn als unerträglich empfinden. Andere Puzzleteile betreffen die dem Schmerz zugrundeliegenden körperlichen Signale, also etwa Informationen darüber, wo im Körper der Schmerz lokalisiert ist und wie intensiv er gerade ist. Anders als etwa bei Schmerzreduktion durch Placebos, die in der Regel unsere emotionale Reaktion auf den Schmerz verändern, führte das Betrachten von Natur dazu, dass die frühen, körperbezogenen Signale vom Gehirn anders verarbeitet wurden. Der Effekt scheint also weniger mit den Erwartungen und Emotionen der Teilnehmenden zu tun zu haben, sondern mehr mit der Veränderung von zugrundeliegenden Schmerzsignalen“, erklärt Steininger.
„Die Ergebnisse sind äußerst spannend für die Forschung. Sie deuten darauf hin, dass die Wahrnehmung natürlicher Umgebungen nicht erst in späteren Verarbeitungsstufen des Schmerzes wirkt. Sie nehmen bereits auf die grundlegenden sensorischen Mechanismen der Schmerzverarbeitung Einfluss,“ kommentiert Co-Autorin Simone Kühn die Ergebnisse. Sie ist Direktorin des Forschungsbereichs Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und erforscht, welche Auswirkungen die Umwelt auf das Individuum und sein Gehirn hat. „Diese Studie dürfte weitere Forschung anregen, die die neuronalen Grundlagen der positiven Effekte von Naturwahrnehmung noch besser verstehen wollen,“ so Kühn weiter. So wirkt bereits ein Spaziergang von 60 Minuten in der Natur nachweislich beruhigend, wie Kühn in einer Studie 2022 herausgefunden hatte.
Was macht die Umwelt mit unserem Gehirn?
Die aktuelle Studie liefert wichtige Hinweise darauf, wie die Natur dabei helfen kann, Schmerzen zu lindern und unterstreicht, dass naturbasierte Therapieansätze eine sinnvolle Ergänzung in der Schmerzbehandlung sein können. Dass dieser Effekt bereits durch das bloße Betrachten von Naturvideos nachgewiesen wurde, zeigt zudem, dass nicht zwingend ein Spaziergang in der freien Natur dafür nötig ist. Auch virtuelle Natur – etwa in Form von Filmen oder Virtual Reality – scheint effektiv zu sein. Das eröffnet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten im privaten und medizinischen Bereich und bietet Menschen eine einfache und zugängliche Möglichkeit, ihre Schmerzen zu lindern.