Hoffnungsträger adulte Stammzellen
Adulte Stammzellen sind neben den embryonalen Stammzellen derzeit die großen Hoffnungsträger auf dem Gebiet der regenerativen Medizin, nicht zuletzt, weil die Gewinnung - im Gegensatz zu den embryonalen Stammzellen - ethisch unbedenklich ist. Für eine Vielzahl von potenziellen Anwendungsgebieten werden gegenwärtig klinische Studien zur Überprüfung von therapeutischen Verfahren durchgeführt. Im Falle der Knochenmarkstransplantation bei Leukämiepatienten existiert sogar bereits eine seit Jahren etablierte Therapie.
Was sind adulte Stammzellen?
Nach der Geburt sind alle Organe eines Säuglings grundsätzlich vollständig ausgebildet und funktionsfähig. Das bedeutet aber nicht, dass sich an der Gewebestruktur und der zellulären Zusammensetzung nichts mehr ändert. Vielmehr laufen zeitlebens Umbau- und Reparaturvorgänge ab. Adulte Stammzellen sind verantwortlich für den Nachschub an den dafür notwendigen Ersatzzellen. In über 20 Organen bzw. Geweben wurden inzwischen adulte Stammzellen identifiziert. Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen, die pluripotent sind und somit die Fähigkeit besitzen, sich zu allen vorhandenen Gewebezelltypen zu entwickeln, können adulte Stammzellen auf natürlichem Wege mit hoher Wahrscheinlichkeit nur Zellen des jeweiligen Organs hervorbringen, in dem sie zu finden sind. Sie werden daher als multipotent bezeichnet. Weitere Kriterien, wie die Fähigkeit zur Selbsterhaltung und -erneuerung sowie das Potenzial, ein Organ funktionell zu erhalten bzw. herzustellen, gelten für adulte und embryonale Stammzellen gleichermaßen.
Gewinnung adulter Stammzellen
Adulte Stammzellen sind in den allermeisten Organen zu finden. In Organen mit hoher Erneuerungsrate (z.B. Blut oder Darm) sind mehr Stammzellen, in anderen, weniger teilungsaktiven Organen (z.B. Herz) sind meist nur wenige Stammzellen vorhanden. Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen, die sich in Kultur leicht vermehren lassen, ist die Teilungsaktivität adulter Stammzellen in der Kulturschale sehr gering. Deshalb müssen adulte Stammzellen in großer Zahl gewonnen werden. Und das gelingt vor allem beim Knochenmark und beim Blut. Aus anderen Geweben sind die Zellen wesentlich schwerer herauszulösen - auch, weil der Anteil adulter Stammzellen hier sehr gering ist. Selbst im Knochenmark beträgt er nur rund 0,1 Prozent, in anderen Organen ist er zum Teil noch wesentlich geringer.
Plastizität der Stammzellen
Stammzellen des Knochenmarks sind normalerweise für die Bildung von Blutzellen verantwortlich. Derzeit wird intensiv erforscht, inwieweit diese so genannten hämatopoietischen Stammzellen in der Lage sind, sich auch in andere Gewebezellen zu differenzieren. So wird diskutiert, ob diese Zellen Gefäßmuskelzellen oder Herzmuskelzellen hervorzubringen vermögen. Die Fähigkeit, sich - unabhängig von der eigenen Herkunft - zu ganz unterschiedlichen Gewebezelltypen entwickeln zu können, bezeichnet man als Plastizität. Die Frage, wie ausgeprägt die Plastizität adulter Stammzellen ist, konnte bisher noch nicht endgültig geklärt werden.
Was können adulte Stammzellen leisten?
Die Antwort auf diese Frage hängt von der Art der Anwendung ab. Als einzige Therapie ist die Stammzelltransplantation bei Leukämiepatienten schon länger etabliert. Während früher die aus dem Knochenmark gewonnenen Zellen komplett transplantiert wurden, besteht heute die Möglichkeit, Blutstammzellen aus dem Knochenmark aufzureinigen und dann nur die eigentlichen Stammzellen zu transplantieren. Denkbar sind Therapien im Prinzip für alle Erkrankungen, bei denen es zur Degeneration bzw. zum Absterben von Zellen kommt wie Herzinfarkt, Parkinson, Diabetes, Knorpelregeneration oder Alzheimer. Zum Teil werden bereits klinische Studien durchgeführt. Allerdings ist derzeit nicht abzusehen, ob und wann eine Stammzelltherapie für eine der Erkrankungen tatsächlich etabliert zur Verfügung stehen wird. Tatsächlich sind die Ergebnisse mit Blick auf die Plastizität adulter Stammzellen, also ihr Potenzial, sich auch in andere Gewebetypen zu entwickeln, noch sehr widersprüchlich.
Wo liegen die Vorteile adulter Stammzellen?
Es gibt keine ethischen Bedenken, die gegen den Einsatz adulter Stammzellen sprechen bzw. ihre Nutzung einschränken würden - das ist ihr großer Vorteil. In bestimmten Fällen kann der Patient eigenes Zellmaterial spenden (autologe Stammzelltransplantation), so dass es zu keiner Immunreaktion kommt. Ansonsten ist es aber in der Regel unproblematisch, einen passenden Spender zu finden. Adulte Stammzellen können direkt in das beschädigte Gewebe injiziert werden, ohne dass es zu einer unkontrollierten Reaktion kommt. Auch ist bisher in keiner Studie das Entstehen eines Tumors beobachtet worden, der in direkten Zusammenhang mit der Stammzelltransplantation gebracht werden konnte.
Werden adulte Stammzellen überschätzt?
Das größte Problem ist, wie schon erwähnt, die Gewinnbarkeit adulter Stammzellen. Solange sie nicht in ausreichender Menge vorliegen, ist auch kein therapeutischer Einsatz denkbar. Realistisch betrachtet stehen derzeit nur Knochenmarks- bzw. Blutstammzellen als Ausgangsmaterial zur Verfügung. Hier stellt nun aber die eingeschränkte Plastizität die eigentliche Hürde dar, also das Potenzial dieser Zellen, sich in verschiedenste Gewebezelltypen zu differenzieren. Es ist eben nach wie vor umstritten, wie weit diese Plastizität reicht. Eine Reihe von Studien liefert Hinweise auf eine solche Fähigkeit. Kritiker bezweifeln aber, dass die aus adulten Stammzellen entstandenen Gewebezellen mit den originalen Gewebezellen vollständig funktionell übereinstimmen.
Wie könnte eine Stammzelltherapie aussehen?
Geht man davon aus, dass aus den Stammzellen Gewebezellen werden, die zur Reparatur des geschädigten Organs beitragen, stehen immer noch prinzipiell zwei Ansätze zur Verfügung: Entweder man differenziert die Gewebezellen bereits in der Kulturschale aus den Stammzellen und injiziert dann "fertige" Zellen in das geschädigte Organ, oder man injiziert die Stammzellen direkt in das geschädigte Areal und hofft darauf, dass diese sich im Gewebe umwandeln. Unterstützt werden könnte dieser als Transdifferenzierung bezeichnete Prozess durch die gleichzeitige Zugabe entsprechender Signalmoleküle.
Kritisch in beiden Fällen ist allerdings die Integration dieser Zellen in den Gewebeverbund. Im Falle des durch einen Infarkt geschädigten Herzmuskels bedeutet das beispielsweise, dass die neuen Muskelzellen nicht nur schlagen, sondern ihre Aktivität auch noch mit den benachbarten Herzmuskelzellen synchronisieren müssen, was eine elektrische Verschaltung mit diesen voraussetzt. Inwieweit eine solche spontan erfolgt, ist fraglich.
Ein weiterer Weg besteht in der Zuführung von Wachstumsfaktoren: Wenn es gelänge durch die Zugabe spezifischer Proteinfaktoren, die Proliferation, also die Zellvermehrung der adulten Stammzellen vor Ort, in dem jeweiligen Organ anzuregen, so wäre das vermutlich der Königsweg für eine Stammzelltherapie.
Welche Optionen prüft die Wissenschaft darüber hinaus?
Möglicherweise setzen adulte Stammzellen Komponenten frei, die eine Selbstheilung des geschädigten Organs unterstützen. In der Vergangenheit gab es vermehrt Hinweise auf eine solche "parakrine" Wirkweise. So könnte es sein, dass adulte Stammzellen durch die Produktion von Wachstumsfaktoren die Teilungsaktivität der Gewebezellen anregen. Auf diese Weise könnten für die Reparatur ausreichend neue Zellen entstehen.
Diskutiert wird auch die Fusion von Stammzellen mit den geschädigten, aber noch lebenden Gewebezellen und die damit unter Umständen verbundene quasi Übertragung der Vitalität der Stammzelle auf die Gewebezelle. Laborstudien weisen darauf hin, dass eine solche Fusion möglich ist. Ob sie aber praktische Relevanz besitzt, ist nicht bekannt.