Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Stuttgart
Der kleinste von Menschen geschaffene Nano-Motor
Selbst-angetriebene Mikro-Nanoroboter
Die Entwicklung von synthetischen Mikro- und Nanomaschinen wurde vom Physiker Richard Feynman in seiner berühmten Rede von 1959 mit dem Titel „There’s Plenty of Room at the Bottom“ (englisch für „Unten ist eine Menge Platz“) vorhergesehen.
In diesem Vortrag brachte Richard Feynman zahlreiche Vorschläge vor, wie Technologie auf mikroskopischer Ebene funktionieren könnte. Die vielfältigen Ideen des Vortrages wurden später zur Grundlage der Nanotechnologie.
Seit damals streben Forscher aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten danach, die Größe von makroskopischen Maschinen hin zu Nano-Dimensionen zu verkleinern. Doch erst seit kurzem, seitdem Wissenschaftler aus den Bereichen Nanotechnologie, Materialwissenschaften, Physik und Chemie zusammenarbeiten, um gemeinsam an Nano-Vorrichtungen zu forschen, ist es gelungen, solche autonom funktionierenden Einheiten mit komplexen Funktionen zu schaffen.
Die Stuttgarter Forschungsgruppe unter Leitung von Samuel Sánchez arbeitet an zahlreichen Beispielen dieser potentiellen Anwendungen: angefangen bei Mikrorobotern, die Flüssigkeiten im Mikrobereich abpumpen bzw. reinigen bis hin zu Mikromotoren, die Zellen transportieren oder Gewebe anbohren.
Trotz der steigenden Anzahl an Publikationen in diesem Bereich, gibt es bis heute keinen klaren Beweis für die Biokompatibilität des Systems aus Brennstoff und Maschine. Diese große Herausforderung inspiriert die Forschungsgruppe, nach bioverträglichen und sauberen Treibstoffen für die Fortbewegung zu suchen. Unter Verwendung von abbaubaren und funktionalen Materialen sollen Nanomotoren weiterentwickelt werden, die tatsächlich eines Tages im Bereich der Biomedizin und Umwelt zur Anwendung kommen.
Kompakte, integrierte (Bio)Senoren
Ein wesentlicher Bestandteil der Forschungsaktivitäten der Gruppe basiert auf dem Verkleinern eines „Lab-on-a-chip” („Labor auf einem Chip“) hin zu einem „Lab-in-a-tube” („Labor in einem Röhrchen“), welches in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden (IFW) entwickelt wurde. Das „Lab-in-a-tube“ wird als analytisches System in einen Mikro-Chip integriert und ermöglicht, die Position einer einzelnen Zelle präzise innerhalb von Mikrostrukturen zu kontrollieren.
Die Anwendung eines solchen Mikro-Röhrchens als Reaktionskammer für Lebendstudien, als auch als Detektionssystem, ist eine absolute Neuerung.
Das „Lab-in-a-tube” ermöglicht, das Verhalten einer einzelnen Zelle im Inneren eines transparenten Mikroröhrchens zu beobachten (Abb. 1a) [1]. Es kann für verschiedene biologische Anwendungen verwendet werden, z. B. zur Nachahmung von zellulären Mikro-Umgebungen im Lebendzustand (Abb. 1b bis 1c).

ON-CHIP/OFF-CHIP: Ein Ziel, zwei Optionen
Nanotechnologische Methoden werden zu weiteren „intelligenten” Systemen führen, entweder auf einem Chip (on-chip), in Form von integrierten Sensoren [2], oder außerhalb eines Chip (off-chip) als schwimmende, röhrenförmige Mikroroboter. Die Abbildungen 1d und 1e zeigen einen on-chip Mikrosensor.
Mithilfe von Methoden aus der Dünnschicht-Aufdampfung, der Photolithographie, der Elektrochemie und der Oberflächenchemie und unter Einsatz von 3D-Druckern eruiert die Forschungsgruppe die optimale Zusammensetzung, Form und Größe der Nano-Objekte. Dabei kommen verschiedenste Materialien zum Einsatz, wie etwa metallische Dünnschichten, Mikro- und Nanopartikel und diverse Polymere. Diese werden zu vielfältigen Motortypen in unterschiedlichster Architektur kombiniert, wie z. B. röhrenförmige Mikroraketen, kugelförmige Janusmotoren und verschiedene andere, meist biologisch inspirierte Objekte. Die Größe der Motoren variiert je nach Anwendung von wenigen Nanometern bis in den Zentimeterbereich.
Die wichtigsten Entdeckungen
Zum Schwerpunkt der Forschungsgruppe Sánchez gehört die Herstellung und Weiterentwicklung künstlicher Mikro- und Nanoroboter, die zu verschiedenen Anwendungen herangezogen werden können. Diese kleinstformatigen Roboter können einzelne Zellen transportieren, Krebszellen und Gewebe durchbohren, sich in Blutproben in „lab-on-a-chip“ Vorrichtungen fortbewegen und könnten auch eines Tages im Bereich der Umweltsanierung eingesetzt werden.
Die Gruppe fertigt ferngesteuerte Nano-Roboter an, die mittels katalytischer Prozesse angetrieben werden und ganz spezifisch Krebszellen ansteuern können. Diese Nano-Roboter bestehen aus kleinen, spitzen Röhrchen aus gerolltem Nanofilm, der mittels physikalischer Bedampfungstechnik und Lithographie hergestellt wird. Der Durchmesser der Mikro-Nano-Roboter beträgt nur 400 nm oder mehrere Mikrometer und ist wenige oder bis zu 500 Mikrometer lang.
Auch andere Typen von Mikromotoren wie etwa Janusmotoren wurden hinsichtlich einer Chip-Anwendung untersucht, deren kugelförmige Geometrie sich für Berechnungen und Simulationen besonders anbietet.
Es gibt aber noch einige Hürden zu überwinden, wie z. B. die hohe Viskosität der Körperflüssigkeiten oder die dreidimensionale Bewegungssteuerung, welche in Kooperation mit Professor Sarthak Misra (Twente/Niederlande) weiterentwickelt wurde. Der experimentelle Aufbau versetzt die Wissenschaftler in die Lage, Bewegungen präzise zu steuern, sogar in Gegenwart von externen Flüssigkeitsströmen [3].
Eine weitere Hürde stellt der relativ toxische Treibstoff dar, der zur Fortbewegung benutzt wird. Ein erster Schritt in Richtung eines bioverträglichen Antriebs ist die Nutzung von Enzymen als biologisch abbaubarem Katalysator (siehe Abb. 2a und 2b) [4].
Der Einsatz dieser organischen Katalysatoren wird in Zukunft eine breite Anzahl verträglicher Substanzen wie Harnstoff und Glucose als Energielieferanten zugänglich machen.

Um den Eigenantrieb im Blutstrom weiterzuverfolgen, untersuchten Mitarbeiter der Forschungsgruppe Sánchez gemeinsam mit dem IFW Dresden das Schwimmverhalten von katalytischen Mikromotoren in komplexen Medien, die sich aus roten Blutkörperchen und Serum zusammensetzen. Die katalytischen Mikromotoren wurden über die Temperatur aktiviert und schwammen bei physiologischen Temperaturen in kleinen Mengen einer Blutprobe [5].
Neben den Nanorobotern, die sich mittels Wasserstoffperoxid fortbewegen, haben die Wissenschaftler in Kooperation mit dem IFW Dresden auch Treibstoff-freie, metallische Mikro-Schrauben in Röhrenform entwickelt, die aufgrund ihrer scharfen Spitze für mechanische Bohrvorgänge an Gewebe ex vivo eingesetzt werden können [6]. Diese Mikro-Bohrer werden über ein rotierendes externes Magnetfeld in einer Lösung, deren Viskosität dem Blut ähnelt, ferngesteuert. Diese Errungenschaft eröffnet die Möglichkeit, kleinstdimensionierte Werkzeuge für minimal invasive Eingriffe in der Medizin einzusetzen.
Neben diesen möglichen biomedizinischen Zielen ist die Gruppe mit weiteren potentiellen Anwendungen der „intelligenten“ Mikromotoren beschäftigt. Einen Weg dahin sehen die Forscher in der gerichteten Bewegung der Motoren. Die Charakterisierung der Bewegung von Mikromotoren in Gegenwart von chemischen Gradienten, der sogenannten Chemotaxis, ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeiten (Abb. 3a).
Gemeinsam mit Wissenschaftlern des IFW Dresden konnten verschiedene Typen katalytischer Mikromotoren entwickelt werden, die sich chemotaktisch in Flüssigkeiten bewegen. Diese werden von hohen Konzentrationen des Treibstoffes (bisher Wasserstoffperoxid) chemotaktisch angezogen [7].
Auch extern steuerbare Mikromotoren wurden entwickelt, die eine biologische Funktion übernehmen können, wie z. B. den Transport von Ladung, das Abpumpen von Flüssigkeiten im Mikrobereich, oder das Detektieren von Schadstoff-Verunreinigungen [8].
Vielversprechende Prognosen werden den Mikromotoren auf dem Gebiet der Umwelttechnik gemacht. Ein Durchbruch gelang den Stuttgarter und Dresdner Wissenschaftlern mit der erstmaligen Entwicklung eines Mikromotors [9], der sich selbständig durchs Wasser fortbewegt und gleichzeitig organische Verunreinigungen abbaut (siehe Abb. 3b).

Ziel dieser Studie war es, ein autonomes, mikroskopisch kleines Reinigungssystem herzustellen, das ohne externe Energiezugabe schnell und zweckdienlich arbeitet.
Diese Mikromotoren bestehen aus einem röhrenförmigen Platinkern, der mit Eisen ummantelt ist. Die Luftblasen bewegen den Mikromotor fort, während die Hydroxyradikale, die aus der äußeren Eisenschicht stammen, die organischen Verunreinigungen oxidieren. Als Modell für organische Verschmutzungen wurde hier der Farbstoff Rhodamin verwendet. Der Mikromotor könnte dazu benutzt werden, kleine Behältnisse, Röhren oder andere schwer zugängliche Orte zu reinigen.
Hybridmotoren
Ein Ansatz für die nächste Mikromotorengeneration ist die Kombination von biologischen Einheiten wie etwa Zellen oder Bakterien mit synthetischen Bestandteilen. Bakterien, die sehr einfach in der Handhabung sind, können vielfältige Arten von Bewegungen ausführen und den Mikromotor vorantreiben.
Die Ausbuchtungen innerhalb der Mikro-Röhrchen liegen im Größenbereich von Zellen. Diesen Umstand nutzten Sánchez und Kollegen des IFW Dresden und stellten einen hybriden Mikro-Bio-Roboter her, der durch eingefangene Spermazellen angetrieben wird [10]. Ähnliche Kombinationen mit anderen Zellarten oder Bakterien sind denkbar, und werden gerade in das Forschungsfeld der Gruppe integriert.
Biologische Systeme können nicht nur zum Antrieb genutzt werden, sondern auch als Bauanleitung für vielfältige Geometrien dienen, um z. B. mittels 3D-Drucker bio-inspirierte Motoren in neuen Formen herzustellen.
Literaturhinweise
Nano Letters 14 (8), 4197-4204 (2014)
DOI: 10.1021/nl4042565
Nano Letters 14 (4), 2219-2224 (2014)
DOI: 10.1021/nl500795k
IEEE Transactions on Robotics 30 (1), 49-58 (2014)
DOI: 10.1109/TRO.2013.2281557
Chemical Communications, 2015, Advance Article
First published online 04 Nov 2014
DOI: 10.1039/C4CC08285K
Lab on a Chip 13, 4299-4303 (2013)
DOI: 10.1039/C3LC50756D
Nanoscale 5, 1294-1297 (2013)
DOI: 10.1039/C2NR32798H
Angewandte Chemie International Edition 52, 5552-5556 (2013)
DOI: 10.1002/anie.201301460
Angewandte Chemie International Edition 54, 1414-1444 (2015)
DOI: 10.1002/anie.201406096
ACS Nano 7, 9611-9620 (2013)
DOI: 10.1021/nn405075d
Advanced Materials 25, 6581-6588 (2013)
DOI: 10.1002/adma.201302544