Einzeller bringen Licht in die Neurobiologie
Bacteriorhodopsin und das aus einer einzelligen Grünalge stammende Channelrhodopsin avancieren zu neuen Werkzeugen in der Neurobiologie.
Die Entdeckung eines Sehpigments in der Zellmembran eines Archaebakteriums Anfang der 1970er-Jahre ist ausschließlich der Neugier eines Wissenschaftlers zu verdanken: Drei Jahre lang wollte die Scientific Community Dieter Oesterhelt nicht glauben. 40 Jahre nach seinen bahnbrechenden Arbeiten am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried avancieren Bacteriorhodopsin und das aus einer einzelligen Grünalge stammende Channelrhodopsin zu neuen Werkzeugen in der Neurobiologie.
Text: Christina Beck
Es war eine illustre Runde, welche die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften am 12. Dezember 2013 nach Stockholm in die Lilla Frescativägen geladen hatte. Das Thema, über das sich das Nobelpreiskomitee informieren wollte, lautete: Optogenetik. Unter den elf Wissenschaftlern waren auch zwei von Max-Planck-Instituten sowie zwei weitere Forscher, die ihre ersten Schritte auf diesem Gebiet als junge Gruppenleiter bei Max-Planck unternommen hatten.
Schon 1979 hatte der Entdecker des DNA-Codes, Francis A. Crick, es als die größte Herausforderung der Neurowissenschaften bezeichnet, selektiv einen bestimmten Zelltyp im Gehirn zu beeinflussen und die übrigen unverändert zu lassen. Er spekulierte in seinen Vorlesungen, als Kontrollwerkzeug könne Licht dienen: in Form örtlich und zeitlich begrenzter Impulse unterschiedlicher Farben. 30 Jahre später wird diese Vision Wirklichkeit: Die Optogenetik schickt sich an, die Neurowissenschaften zu revolutionieren, erlaubt sie doch erstmals die nichtinvasive Manipulation neuronaler Netzwerke in einem Organismus – angefangen bei dem kleinen Fadenwurm Caenorhabditis elegans bis hin zur Maus. Und vielleicht irgendwann sogar beim Menschen. Eine Methode also, die das Zeug zum Nobelpreis hat.
Die Entdeckung des ersten mikrobiellen Rhodopsins
Doch was inzwischen gängiges Werkzeug von Neurowissenschaftlern ist, hat an ganz anderer Stelle begonnen, nämlich bei einem kleinen, salzliebenden Archaebakterium, Halobacterium salinarum. Archaebakterien sind die „Oldtimer“ des Lebens. Seit der frühen Evolution haben diese Einzeller in extremen Lebensräumen – wie etwa in Salzseen oder heißen Vulkanquellen – ausgeharrt, während sich Bakterien und die Eukaryonten sehr viel freizügiger entfalten konnten.
Es war mehr oder weniger ein Zufall, der den Biochemiker Dieter Oesterhelt in Kontakt brachte mit Halobacterium salinarum. Doch dieses Archaebakterium sollte schließlich zentraler Forschungsgegenstand seines Wissenschaftlerlebens für die kommenden 40 Jahre werden. Oesterhelt hatte im Labor von Feodor Lynen am Max-Planck-Institut für Zellchemie (später Max-Planck-Institut für Biochemie) über ein Stoffwechselenzym promoviert, die Fettsäuresynthetase. „Ein Riesenpartikel“, wie er sagt, „dessen Struktur man nur mittels Elektronenmikroskopie entschlüsseln konnte.“
Deshalb ging der Forscher im Jahr 1969 für ein Sabbatical nach San Francisco zu Walther Stoeckenius, einem ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie. Oesterhelt wollte diese Technik bei ihm im Labor erlernen. Stoeckenius interessierte sich für die Membran des Halobakteriums, denn zu diesem Zeitpunkt war die molekulare Struktur von Zellmembranen noch Gegenstand kontroverser Diskussionen. „Das war die sogenannte Purpurmembran, die hieß damals schon so. Aber es war völlig unklar, was das ist“, erzählt Dieter Oesterhelt.
Allen Blaurock, der sich zu dem Zeitpunkt ebenfalls im Labor von Stoeckenius aufhielt, bat Oesterhelt um Unterstützung bei der Aufbereitung seiner Proben. Um die Lipide aus der Membran herauszulösen, experimentierte dieser mit verschiedenen organischen Lösungsmitteln: „Ich extrahierte also die violette Membran mit Chloroform-Methanol – und hatte plötzlich einen gelben Extrakt“, erinnert sich Oesterhelt.
Eine solche Absorptionsänderung über einen Bereich von knapp 200 Nanometern hinweg erschien dem jungen Biochemiker ganz ungewöhnlich. Doch Allen Blaurock wiegelte ab, er hatte in London bei Maurice Wilkins an der Retina von Fröschen gearbeitet. Für ihre Röntgenbeugungsexperimente mussten sie die Froschretina in einem ganz bestimmten Winkel bestrahlen. „Aber wenn wir da nicht aufgepasst haben“, so Blaurock gegenüber Oesterhelt, „dann ist der Strahl in das schöne rote Auge des Frosches gefahren, und auf einmal wurde es gelb.“
Für Dieter Oesterhelt war das der entscheidende Hinweis. Er holte sich aus der Bibliothek die Daten für Retinal, jenes lichtabsorbierende Pigment in der Netzhaut von Wirbeltieren, und unterzog anschließend die Purpurmembran einer massenspektroskopischen Analyse. Kein Zweifel: Es handelte sich um Retinal. Die erste Reaktion von Walther Stoeckenius fiel allerdings wenig euphorisch aus – sie lautete schlicht: „Das gibt es nicht. Das gibt es nicht in Prokaryonten.“
Und so ähnlich sah das wohl auch der Gutachter für das Fachmagazin NATURE. Die eingereichte Publikation wurde zurückgewiesen mit dem Hinweis, die Experimente seien zwar in Ordnung, aber die Analogie zu Rhodopsin sei doch weit hergeholt. „Es war einfach inakzeptabel, dass man Retinal woanders findet als in einem Auge“, resümiert Oesterhelt. Und so erschien die erste Publikation zu Bacteriorhodopsin, wie die Autoren ihr Molekül getauft hatten, 1971 in dem Journal Nature New Biology.
Die Photosynthese wurde gleich zweimal erfunden
Dieter Oesterhelt kehrte nach München zurück und blieb – trotz großer Zweifel seiner dortigen Kollegen – an Bacteriorhodopsin dran: „Es scheint mir doch eine ganz ungewöhnliche Sache, und das ist nicht umsonst da“, erklärte er den Skeptikern. Zu dem Mangel an Mitstreitern gesellte sich dann auch noch ein Mangel an Geräten. Denn das Max- Planck-Institut für Zellchemie zog raus nach Martinsried, Oesterhelt blieb in den ursprünglich gemeinsam genutzten Laboren am Institut für Biochemie der Universität München. „Mir blieben nur noch ein pH-Meter, ein Wasserbad und ein Projektor“, sagt er. Doch für das nun folgende Schlüsselexperiment erwies sich diese Situation als Segen, „weil ich gar nicht viel anderes machen konnte“.
Oesterhelt war der festen Überzeugung, dass der Farbwechsel mit einer Funktion verbunden ist, und arbeitete daher daran, diesen umzukehren: „Ich habe schlicht und einfach sämtliche Lösungsmittel der Welt probiert.“ Und dann kam auch hier wieder der Zufall dazu. Nahm man nämlich Ether, gab dann Salz hinzu und trat ans Fenster, wenn die Sonne schien, wurde der Extrakt auf einmal hellgelb; im Dunkeln kehrte sich die Farbe wieder um. Das war der erhoffte Farbwechsel, doch was steckte dahinter?
„Ich habe einfach eine pH-Elektrode reingehalten“, sagt Oesterhelt. Bei einem Farbumschlag von Violett nach Gelb wurden Protonen abgegeben, bei einem Farbumschlag von Gelb nach Violett wurden Protonen aufgenommen. Dementsprechend wurde der Extrakt in dem einen Fall sauer, im anderen alkalisch. Wenn eine solche Abgabe und Aufnahme von Protonen nun aber in einer dichten Schicht wie etwa einer Membran stattfinden, dann müsste eine Pumpwirkung entstehen. Der junge Biochemiker stellte sich eine Protonenpumpe vor – ein Molekül also, das Protonen von einer Richtung aufnimmt und nach der anderen abgibt.
Oesterhelt trug diese Idee seinem Doktorvater Feodor Lynen vor. Der sagte nur: „Ich glaube es nicht, aber ich wünsche Ihnen, dass Sie recht haben.“ Wenn das Molekül Protonen pumpt, dann sollte in einer Suspension von Bakterienzellen eine pH-Änderung zu messen sein. Dieter Oesterhelt baute sein pH-Meter im Dunkelraum auf, um zu schauen, was passierte, wenn er intakte Zellen belichtete. Er stellte das pH-Meter auf höchste Empfindlichkeit ein und schaltete dann das Licht an: „Der Schreiber machte einen Satz und knallte mit Vollausschlag oben an die Kante.“ In wenigen Tagen hatte er die entsprechenden Aufzeichnungen zusammen und damit den Nachweis, dass es sich bei Bacteriorhodopsin tatsächlich um eine lichtgetriebene Protonenpumpe handelt.
Indem es Protonen aus dem Innern der Bakterienzelle nach außen befördert, entsteht ein Gradient, ein Protonen- Konzentrationsgefälle zwischen innen und außen, und über die Membran hinweg wird ein elektrisches Potenzial aufgebaut. „Der Vorgang gleicht ganz dem Laden einer Batterie“, erklärt der Max-Planck-Forscher. Die Energie der zurückströmenden Protonen wird zur enzymatischen Synthese von ATP (Adenosintriphosphat) genutzt, der Energiewährung der Zelle.
Das entsprach der von Peter D. Mitchell schon 1961 aufgestellten – und 1978 mit dem Chemienobelpreis gewürdigten – chemiosmotischen Hypothese, für die das Bacteriorhodopsin damit auch einen ersten Beleg lieferte. Das Purpurmembransystem ist – neben dem Chlorophyllsystem der grünen Pflanzen – das zweite lichtenergiewandelnde Prinzip der belebten Natur. „Die Evolution hat den grundlegenden Prozess der Photosynthese also zweimal erfunden“, sagt Dieter Oesterhelt.
Noch mehr lichtgeschaltete Membranproteine
In den Folgejahren avancierte Bacteriorhodopsin zum Modellobjekt in der Bioenergetik, der Membranbiologie und der Strukturbiologie. Von der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre an erschienen zu diesem Thema jährlich mehr als 100 Publikationen. 1977 entdeckten die beiden Japaner Matsuno-Yagi und Mukohata ein weiteres Pigment in der Purpurmembran von Halobacterium salinarum, das sich jedoch von Bacteriorhodopsin unterschied. Lange Zeit wurde spekuliert, dass es sich hierbei um eine durch Licht aktivierbare Natriumpumpe handelt.
Oesterhelt war inzwischen Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried geworden, und einer seiner ersten Doktoranden dort war der Chemiker Peter Hegemann. Er sollte ursprünglich diese Halorhodopsin genannte Natriumpumpe isolieren. Doch dann zeigten Janos Lanyi und Brigitte Schobert von der University of California, dass dieses Membranprotein nicht Natriumionen aus der Zelle hinaus-, sondern Chloridionen in die Zelle hineinpumpt. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte das eine ganz neue Bedeutung erlangen.
Hegemann leitete ab 1986 eine eigene Arbeitsgruppe in Oesterhelts Abteilung für Membranbiochemie und wandte sich Ende der 1980er-Jahre einem neuen Untersuchungsobjekt zu: der kleinen, einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. In MOLECULAR MEDICINE schrieben er und sein Ko-Autor Georg Nagel später: „Als wir unsere Experimente mehr als eine Dekade zuvor durchführten, hatten wir nicht erwartet, dass die Forschung über die molekularen Mechanismen der Phototaxis einzelliger Algen oder den lichtgetriebenen Ionentransport in Archaebakterien eines Tages die Leser eines medizinischen Journals interessieren könnte.“ Der Weg dahin war allerdings steinig und äußerst langwierig.
Der rote Augenfleck der Alge gibt Rätsel auf
Als Photosynthese treibender Organismus sucht Chlamydomonas Areale auf, an denen die Lichtverhältnisse für die Photosynthese besonders günstig sind. Dabei bewegt er sich mit seinen langen Flagellen wie ein kleiner Brustschwimmer fort. Der Photosynthese-Apparat der kleinen Grünalge muss somit nicht ständig an wechselnde Lichtbedingungen angepasst werden. Wissenschaftler bezeichnen derart lichtgesteuerte Orientierungsbewegungen als Phototaxis. Sie sind bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Der für die Phototaxis zuständige Lichtsensor befindet sich im roten Augenfleck der Alge.
Kenneth W. Foster, ein ehemaliger Student Max Delbrücks, untersuchte die phototaktischen Bewegungen von Chlamydomonas in Abhängigkeit von der Wellenlänge des Lichts, um Aufschluss über die Eigenschaften des Lichtsensors zu erhalten. Anhand dieser sogenannten Aktionsspektren postulierte er bereits 1980, dass es sich bei dem Lichtsensor um ein Rhodopsin handelt. Wenige Jahre später gelang es ihm darüber hinaus, die lichtgesteuerten Bewegungen bei „blinden“ Algen durch Zugabe von Retinal wiederherzustellen. „Aber das Feld der Photorezeptor-Forscher hat die Bedeutung dieser Ergebnisse damals nicht erkannt“, sagt Peter Hegemann.
Der Hinweis, dass eine kleine, einzellige Grünalge ein Sehpigment nutzt, das möglicherweise jenem im menschlichen Auge sehr ähnlich ist, weckte jedoch sein Interesse. Zusammen mit seinen Mitarbeitern mühte Hegemann sich über zehn Jahre, den Photorezeptor der Alge in ausreichendem Umfang und entsprechender Reinheit für proteinchemische Untersuchungen zu gewinnen. Die Versuche blieben jedoch ohne Erfolg: „Die radioaktiven Markierungen lieferten ein vollkommen undefiniertes Bild“, erzählt er. Heute wissen die Forscher, dass sich im Augenfleck von Chlamydomonas zehn verschiedene Rhodopsine befinden.
Lediglich die elektrophysiologischen Messungen führten damals zu vielversprechenden Ergebnissen: Die 1991 im Fachmagazin NATURE publizierten Photoströme zeigten nicht nur, dass es sich bei dem Photorezeptor tatsächlich um ein Rhodopsin handeln musste, sondern offenbarten noch etwas: Anders als im menschlichen Auge wurde der Strom ganz offensichtlich nicht über eine chemische Signalkaskade weitergeleitet und damit verstärkt. Vielmehr schien der Photorezeptor ganz unmittelbar an einen Ionenkanal gekoppelt zu sein – denn die Photoströme traten ultraschnell innerhalb von nur 30 Mikrosekunden (millionstel Sekunden) nach Belichtung auf.
Acht Jahre später wurde Hegemann, der inzwischen an die Universität Regensburg berufen worden war, in einer Publikation noch deutlicher: „Wir gehen davon aus, dass das Chlamyrhodopsin Teil eines Rhodopsin-Ionenkanal-Komplexes ist oder sogar selbst den Kanal bildet.“ Doch die Wissenschaftlergemeinde begegnete diesen Ausführungen mit ähnlicher Skepsis wie seinerzeit Oesterhelts Entdeckung des ersten mikrobiellen Rhodopsins.
Nach wie vor war es nicht möglich, die zentralen Eigenschaften dieses vermeintlichen Rhodopsinkanals zu erfassen. Alle elektrophysiologischen Ableitungen erfolgten mittels einer Saugpipette. Die Forscher konnten daher immer nur die Summe der Ionenströme über ein größeres Membranareal hinweg registrieren, nicht aber den Strom eines einzelnen Kanals.
Ein neuer Ansatz musste her. Im Jahr 2000 veröffentlichte das japanische Kazusa-DNA-Forschungsinstitut Tausende neu entschlüsselter Gensequenzen von Chlamydomonas reinhardtii in online frei zugänglichen Datenbanken. Beim Durchsehen dieser Sequenzen entdeckten die Regensburger Forscher zwei längere Abschnitte, die bakteriellen Rhodopsingenen ähnelten.
Hegemann bat Georg Nagel, damals Forschungsgruppenleiter am Frankfurter Max-Planck-Institut für Biophysik in der Abteilung von Ernst Bamberg, die Eigenschaften der von diesen Genabschnitten kodierten Proteine zu testen. In Bambergs Abteilung hatte man bereits über Jahre Erfahrungen gesammelt bei der elektrophysiologischen Charakterisierung mikrobieller Rhodopsine. Um die Transporteigenschaften von Bacteriorhodopsin und Halorhodopsin unter elektrisch kontrollierten Bedingungen zu erfassen, hatte man diese in die Eizellen von Krallenfröschen überführt.
Die Geburtsstunde der Optogenetik
Nagel und seine Kollegen testeten nun die elektrischen Eigenschaften der von Chlamydomonas stammenden Proteine ebenfalls in Froscheiern. Im Juni 2002 präsentierten sie die Ergebnisse im Fachmagazin SCIENCE. Es war der langersehnte Beleg, dass es sich bei dem Algen-Rhodopsin tatsächlich um das erste Beispiel eines direkt lichtgesteuerten Ionenkanals und damit um ein völlig neuartiges Membranprotein handelte.
Channelrhodopsin-1 (ChR1), wie die Wissenschaftler ihr „Baby“ getauft hatten, leitet nach Aufnahme von Licht Protonen über die Membran ins Zellinnere; im Gegensatz zu der Protonenpumpe Bacteriorhodopsin benötigt es für den Ionentransport keine Energie.
Ein Jahr später publizierten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse über den zweiten lichtaktivierten Ionenkanal, das Channelrhodopsin-2 (ChR2), das im Gegensatz zu Channelrhodopsin-1 auch andere positiv geladene Teilchen, etwa Natriumionen, leitet. Dabei war es ihnen gelungen, Channelrhodopsin- 2 nicht nur in Froscheier, sondern erstmals auch in menschliche Nierenzellen einzubauen.
Diese Publikation weckte das Interesse von Karl Deisseroth und Edward Boyden an der Universität Stanford. Die beiden Forscher diskutierten schon seit Längerem über Möglichkeiten, die elektrische Aktivität von Nervenzellen im intakten Gehirn zu kontrollieren. Im März 2004 schrieb Deisseroth eine E-Mail an Georg Nagel und fragte, ob er auf der Basis einer Kollaboration einen Klon von Channelrhodopsin-2 bekommen könne. Das Päckchen aus Deutschland kam wenige Wochen später.
Boyden, Deisseroth und der inzwischen dazugestoßene Feng Zhang überlegten, wie sie weiter vorgehen wollten. In den kommenden Monaten optimierten die Forscher ihren Versuchsaufbau. Mit einem harmlosen Virus als Genfähre gelang es ihnen, das Gen für Channelrhodopsin-2 in kultivierte Hippocampus-Neuronen einzuschleusen. Über den Promotor, einen genetischen Schalter, konnten sie steuern, welcher Neuronentyp Channelrhodopsin-2 herstellt. Das Experiment funktionierte, „und zwar erstaunlich gut“, wie Deisseroth schreibt. „Mit einfachen, unschädlichen Lichtblitzen konnten wir verlässlich und auf Millisekunden genau steuern, wann die Opsin produzierenden Nervenzellen Aktionspotenziale auslösten.“
Zusammen mit den Frankfurter Max-Planck-Forschern publizierten die drei US-Amerikaner die Ergebnisse 2005 in NATURE NEUROSCIENCE. Dieser Durchbruch lag quasi in der Luft. Denn parallel gelang es japanischen Forschern um Hiromu Yawo, Channelrhodopsin-2 in PC12-Zellen zu exprimieren. Und Stefan Herlitze (damals an der Case Western University in Cleveland) war sogar erfolgreich bei der Exprimierung von Channelrhodopsin-2 im Rückenmark von Wirbeltieren. Er konnte – ebenso wie übrigens Alexander Gottschalk bei dem Fadenwurm C. elegans – zeigen, dass lichtaktivierte Opsine tatsächlich geeignet sind, um neuronale Netzwerke im intakten Organismus zu regulieren. Das war der eigentliche Beginn des neuen Forschungsfelds der Optogenetik.
Nun war es also möglich, Nervenzellen innerhalb neuronaler Schaltkreise via Licht zu aktivieren. Im Jahr darauf kam Deisseroth zu einem Vortrag an das Frankfurter Max-Planck-Institut. Er fragte seine deutschen Kollegen nach einem optogenetischen Werkzeug, das es umgekehrt ermöglicht, Nervenzellen via Licht stumm zu schalten. Bamberg und Nagel erzählten ihm von ihren Versuchen mit Bacteriorhodopsin und Halorhodopsin Mitte der Neunzigerjahre in Froscheiern. Und sie empfahlen ihm, das Halorhodopsin aus Natronomonas pharaonis zu nehmen. Janos Lanyi hatte es 1999 entdeckt. Im Gegensatz zum Halorhodopsin aus Halobacterium salinarum funktioniert es auch bei niedrigen Chloridkonzentrationen, wie sie etwa im Säugerhirn vorherrschen.
Zhang synthetisierte in Stanford nun das entsprechende Gen und schleuste es in Nervenzellen ein; Alexander Gottschalk testete es zur gleichen Zeit erfolgreich in C. elegans. Im Frühjahr 2007 publizierten die Forscher aus Frankfurt und Stanford ihre Ergebnisse: Während Channelrhodopsin-2 wie ein „An“-Schalter funktioniert, lassen sich mit Halorhodopsin via Licht Aktionspotenziale in der Zelle unterdrücken, es funktioniert also wie ein „Aus“-Schalter. Drei Jahre später konnte Boyden mit seinem Team am MIT dann zeigen, dass auch die bereits zu Beginn der 1970er-Jahre von Dieter Oesterhelt entdeckte Protonenpumpe Bacteriorhodopsin in der Lage ist, Neuronen stumm zu schalten.
Und so schließt sich der Kreis nach fast einem halben Jahrhundert Grundlagenforschung. Was als Laune der Natur erschien – ein Retinal bindendes Protein in der Membran eines obskuren Archaebakteriums –, wird zu einem Paradigma für die Wechselwirkung von Licht und Leben. Heute untersuchen Tausende Forscher mit optogenetischen Methoden, wie Aktivitätsmuster spezifischer Neuronengruppen komplexe physiologische Vorgänge und Verhaltensweisen steuern. Pionierarbeiten wie die von Zhuo-Hua Pan von der Wayne State University zeigen dabei, dass die Optogenetik nicht nur ein Werkzeug für Neurobiologen ist. Pan ist es gelungen, Channelrhodopsin-2 in die Retinazellen von blinden Mäusen einzuführen und diesen somit wieder die Wahrnehmung von Licht zu ermöglichen. Andere Forscher haben diesen Ansatz inzwischen weiter ausgebaut – die Wiederherstellung der Sehfähigkeit bei degenerativen Netzhauterkrankungen könnte eine der vielversprechendsten klinischen Anwendungen der Optogenetik werden.