Fühler für Blutstrom in Blutgefäßen entdeckt

Ionenkanal PIEZO1 übersetzt mechanischen Reiz in molekulare Reaktion zur Steuerung des Gefäßdurchmessers

Physikalische Kräfte wie Blutdruck und Scherkräfte des fließenden Blutes sind wichtige Stellgrößen für den Spannungszustand von Blutgefäßen. Jahrelang haben Wissenschaftler nach einem Messfühler gesucht, mit dem die mechanischen Reize in eine molekulare Antwort übersetzt werden, die die Gefäßspannung reguliert. Jetzt haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim einen solchen Sensor in der inneren Gefäßschicht gefunden: Das als PIEZO1 bezeichnete Molekül ist ein Ionenkanal und könnte eines Tages zum Beispiel zu einem Ansatzpunkt für die Behandlung von Bluthochdruck werden.

Anders als Wasserleitungen, die gerne zur Erläuterung der Funktion von Blutgefäßen herangezogen werden, sind Gefäße alles andere als starr und leblos. Vielmehr handelt es sich bei der aus unterschiedlichen Schichten bestehenden elastischen Gefäßwand um ein aktives und höchst sensibles Gewebe. Dieses ist in der Lage, auf wechselnde Ansprüche des Körpers mit einer Erweiterung des Durchmessers und einer damit verbundenen stärkeren Durchblutung zu reagieren.

Die dazu notwendige Information erhält das Blutgefäß vorwiegend aus dem Blutstrom selbst: „Einer der wichtigsten Steuerungsmechanismen sind die physikalischen Kräfte, die das Blut auf die Innenseite der Blutgefäße ausübt“, sagt Stefan Offermanns, Direktor am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim. „Die Gefäßinnenseite wird durch sogenannte Endothelzellen bedeckt. Sie erfassen die Intensität des Blutflusses über molekulare Antennen.“ Die Endothelzellen setzen als Reaktion unter anderem Stickstoffmonoxid frei. Dieses bewirkt, dass sich die Gefäßmuskulatur entspannt und das Blutgefäß sich so erweitert.

PIEZO1 übersetzt Kräfte in Moleküle

Neben der Höhe des Blutdrucks sind vor allem mechanische Scherkräfte, die durch den Blutstrom am Endothel wirken, entscheidend für die Regulation der Durchblutung. „Bis jetzt war nur ansatzweise bekannt, wie Endothelzellen auf molekularer Ebene die mechanischen Kräfte des fließenden Blutes erfassen. Mit PIEZO1 haben wir nun einen Ionenkanal entdeckt. Dieser stellt die Schnittstelle dar, die den physikalischen Reiz in eine molekulare Reaktion überführt, die wiederum den Spannungszustand der Gefäßwand steuert“, sagt Shengpeng Wang, Erstautor der Studie.

Die Max-Planck-Forscher haben zunächst an kultivierten Endothelzellen identifiziert, dass PIEZO1 eine Signalkaskade auslöst, wenn man ihn Scherkräften aussetzt: „Durch den mechanischen Reiz wird PIEZO1 aktiviert. Die Folge ist, dass Kalzium-Ionen durch den Kanal in die Endothelzellen einströmen und so eine Kettenreaktion auslösen“, so Wang. Am Ende dieser Signalkaskade steht die Freisetzung von Stickstoffmonoxid und folglich die Erweiterung des Blutgefäßes.

Hoher Blutdruck ohne PIEZO1

Die im Labor gemachte Beobachtung konnten die Bad Nauheimer Forscher anschließend im lebenden Organismus an gentechnisch veränderten Mäusen bestätigen. Mäuse, bei denen das PIEZO1-Gen inaktiv ist, hatten einen höheren Blutdruck als Kontrolltiere. „Dies lag daran, dass wegen des Fehlens der molekularen Antenne PIEZO1 die Scherkräfte durch die Endothelzellen nicht mehr richtig wahrgenommen wurden und so die gesamte Signalkaskade kaum aktiviert wurde“, so Wang. In der Folge setzten die Zellen weniger Stickstoffmonoxid frei und die Gefäßmuskulatur blieb angespannt. Daraus resultierte der dauerhaft erhöhte Blutdruck bei den Tieren.

Sollte PIEZO1 tatsächlich der lang gesuchte Sensor sein, mit dem die Endothelzellen die mechanischen Kräfte der fließenden Blutsäule registrieren, um den Spannungszustand von Blutgefäßen zu regulieren, könnte dies von therapeutischer Bedeutung sein. „Wir konnten PIEZO1 mit einem spezifischen Wirkstoff pharmakologisch aktivieren. Die Zellen reagierten darauf genauso, wie sie es ansonsten als Reaktion auf die Scherkräfte machen“, sagt Offermanns. „Deshalb könnten Wirkstoffe, die PIEZO1 stimulieren, zum Beispiel für die Behandlung verschiedener Formen des Bluthochdruckes vielversprechend sein.“ Auch bei Erkrankungen, bei denen krampfartig verengte Blutgefäße eine Rolle spielen, könnte PIEZO1 zum Angriffspunkt für eine Therapie werden.  

MH/HR

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