Tierschutzforschungspreis für Göttinger Max-Planck-Forscher

Die Preisträger haben eine Alternative zu den meistgenutzten Antikörpern entwickelt, die die Tierzahlen in der Antikörper-Produktion drastisch reduzieren kann

10. Oktober 2018
Dirk Görlich und Tino Pleiner vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen erhalten den Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Auszeichnung wird ihnen am 11. Oktober in Berlin verliehen. Den beiden Wissenschaftlern ist es gelungen, eine neue Art von Antikörpern zu entwickeln, sogenannte sekundäre Nanobodies. Diese basieren auf den besonders kleinen Antikörpern von Alpakas, einer zu den Kamelen gehörenden Tierart aus Südamerika. Nanobodies können die in Medizin und Forschung meistgenutzten Antikörper ersetzen und so die Anzahl der Tiere in der Antikörper-Produktion drastisch reduzieren.

„Wir sind sehr glücklich, dass wir ein Verfahren entwickelt haben, das den Einsatz zahlreicher Versuchstiere überflüssig macht. Da uns das Thema Tierschutz sehr am Herzen liegt, freuen wir uns ganz besonders über diesen wichtigen Preis“, so Dirk Görlich, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.

Jedes Jahr werden Zehntausende Versuchstiere eingesetzt, um in großem Maßstab Antikörper zu produzieren. Denn neben ihrer natürlichen Funktion als Schutz vor Krankheitserregern sind Antikörper unverzichtbare Werkzeuge in der biomedizinischen Forschung sowie in der medizinischen Diagnostik und Therapie. Angewendet werden sie beispielsweise in Schwangerschaftstests oder bei der Blutgruppenbestimmung. Die am häufigsten verwendeten Antikörper sind sogenannte sekundäre Antikörper, die mit einem Marker versehen sind. Solche Marker senden ein Signal aus, über das die Antikörper in Zellen oder Geweben lokalisiert werden können.

Um Antikörper herzustellen, werden zunächst Versuchstiere mit einem gereinigten Antigen per Spritze immunisiert – vergleichbar mit einer Impfung beim Menschen. Daraufhin bildet das Immunsystem der Tiere Antikörper gegen das Antigen. Die Antikörper werden schließlich aus dem Blut der Tiere gesammelt und aufbereitet. Das ist nicht nur zeitintensiv und kostspielig, sondern auch ethisch umstritten, da aufgrund des weltweit enormen Bedarfs an Antikörpern sehr viele Tiere zum Einsatz kommen.

Bakterien statt Versuchstiere

Alpakas haben besondere Abwehrstoffe im Blut: Ihre Antikörper sind viel einfacher aufgebaut als die der meisten anderen Säugetiere und lassen sich daher von Bakterien in beliebiger Menge produzieren.

Neue Antikörper für den Tierschutz

Alpakas haben besondere Abwehrstoffe im Blut: Ihre Antikörper sind viel einfacher aufgebaut als die der meisten anderen Säugetiere und lassen sich daher von Bakterien in beliebiger Menge produzieren.
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Dirk Görlich und Tino Pleiner, der bis 2017 in Görlichs Abteilung am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie forschte, haben mit sogenannten Nanobodies einen nachhaltigen Ersatz für die sekundären Antikörper geschaffen. Nanobodies sind Fragmente von besonders einfach aufgebauten Mini-Antikörpern aus Kameliden wie Alpakas. „Wenn wir die Nanobodies einmal aus einer kleinen Blutprobe eines Alpakas gewonnen haben, können wir sie in beliebiger Menge und beliebig oft in Bakterien vermehren. Daher hat die Technologie das Potenzial, die Anzahl der Tiere in der Antikörper-Produktion drastisch zu reduzieren und einen wesentlichen Beitrag zum Tierschutz in der Forschung zu leisten“, betont Pleiner die Bedeutung der Forschungsarbeiten des Teams.

Die Belastung für die Tiere bei einem solchen Nanobody-Projekt sei äußerst gering, erklärt Ulrike Teichmann, Leiterin der Tierhaltung am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie: „Wie bei der herkömmlichen Antikörper-Produktion wird zunächst ein Alpaka mit einem gereinigten Antigen geimpft. Den kleinen Stich spüren die Tiere kaum und wir präparieren die gereinigten Antigene so, dass sie für das Alpaka unbedenklich sind. Etwa zwei Monate später nehmen wir dem Alpaka circa 100 Milliliter Blut ab – das ist rund ein Fünftel der Menge, die Menschen beim Blutspenden geben. Daraus werden dann im Labor die Baupläne für die Nanobodies isoliert.“ Sowohl die Impfung als auch die Blutspende dauern für das Tier nur wenige Minuten. Danach hat es seine Aufgabe erledigt und kann zur Herde auf die Weide zurückkehren. „Tatsächlich ist die Belastung so gering, dass ein Alpaka im Laufe seines Lebens an mehreren Nanobody-Projekten mitwirken kann – und das bei sehr guter Lebensqualität und hoher Lebenserwartung. Dies sind sehr wichtige Tierschutzaspekte“, ergänzt die für das Institut zuständige Tierschutzbeauftragte Sarah Kimmina.

Bessere Leistung im Labor

Die Nanobodies sind nicht nur aufgrund ihres Beitrags zum Tierwohl ein wertvoller Ersatz für Antikörper. Auch schneiden sie bei klassischen Laboranwendungen mindestens genauso gut ab wie traditionelle Antikörper und haben mitunter sogar Vorteile: „Nanobodies sind etwa ein Fünftel so groß wie Antikörper. Wenn man sie beispielsweise in der Fluoreszenzmikroskopie nutzt, kann man zelluläre Strukturen viel besser optisch voneinander trennen und damit die Bildschärfe deutlich erhöhen“, berichtet Pleiner.

„Neben der Mikroskopie haben wir die sekundären Nanobodies bereits mit anderen Methoden getestet und die Ergebnisse sind sehr vielversprechend“, ergänzt Görlich. „Wir erwarten, dass unsere Nanobodies die traditionellen Antikörper-Pendants aus Eseln, Ziegen oder Schafen in vielen Anwendungen ersetzen und die Zahl der Versuchstiere deutlich verringern werden.“

Über die Preisträger

Dirk Görlich studierte Biochemie in Halle (Saale) und promovierte 1993 an der Berliner Humboldt-Universität. Nach einem zweijährigen Forschungsaufenthalt am Wellcome/CRC Institute in Cambridge (Großbritannien) wurde er 1996 zum Forschungsgruppenleiter und 2001 zum Professor für Molekularbiologie an das Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH) berufen. Seit 2007 leitet er die Abteilung Zelluläre Logistik am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Dirk Görlich erhielt zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter den Heinz Maier-Leibnitz-Preis (1997), die EMBO Gold Medal und den Alfried-Krupp-Förderpreis (2001). Er ist Mitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO) und der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften.

Tino Pleiner studierte Biochemie in Leipzig und Molekularbiologie in Göttingen. Für seine Doktorarbeit, die er im Rahmen der International Max Planck Research School for Molecular Biology anfertigte, forschte er fünf Jahre in der Abteilung von Dirk Görlich am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Nach seiner Promotion wechselte er 2017 an das California Institute of Technology in Pasadena (USA).

Über den Preis

Jedes Jahr zeichnet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Forschungsarbeiten aus, durch die Tierversuche beschränkt oder langfristig ersetzt werden können. Der Preis, der zunächst von 1980 bis 2000 durch das Gesundheitsministerium vergeben wurde, ist mit 25000 Euro dotiert. Für eine Bewerbung können Forscherinnen und Forscher zur Publikation akzeptierte oder bereits veröffentliche wissenschaftliche Arbeiten einreichen, die nicht älter als zwei Jahre sind.

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