Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Geoanthropologie
Die Analyse alter DNA zeigt: Vorfahren der biblischen Philister stammten aus Europa
Im 12. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, am Übergang zwischen Bronze- und Eisenzeit, erlebten die Städte Ashkelon, Ashdod und Ekron an beziehungsweise nahe der Küste des heutigen Israel einen substanziellen kulturellen Wandel. In der Folge unterschieden sie sich in ihren architektonischen Traditionen und ihrer materiellen Kultur von benachbarten Siedlungen [1].
Das Alte Testament zählt diese drei Städte zu den insgesamt fünf Kernstädten der „Philister“, den Erzfeinden der Israeliten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren schon lange darüber, ob das Auftreten des sogenannten „philistinischen Phänomens“ auch mit der Migration einer neuen Bevölkerungsgruppe verbunden war, und wenn ja, woher diese Menschen stammten. Um zur Klärung dieser Frage beizutragen, haben wir in den Laboren der Abteilung für Archäogenetik erstmals das Erbgut von Menschen untersucht, die während dieser Periode in Ashkelon lebten [2].
Nur zehn Prozent der Proben enthielten ausreichend DNA für die Analyse
Insgesamt haben wir Skelettteile von 108 Individuen beprobt, deren sterbliche Überreste zwischen 1997 und 2016 durch die „Leon Levy Expedition to Ashkelon“ auf dem Gebiet der philistinischen Stadt Ashkelon ausgegraben wurden. Für die Proben haben wir vor allem aus dem Felsenbein – einem Teil des Innenohrs, der DNA besonders gut konserviert – Knochenpulver entnommen. Aus diesem Pulver wurde mittels DNA-Extraktion erhalten gebliebenes Erbmaterial herausgelöst und vervielfältigt. Zehn der Proben enthielten genügend DNA, um das Erbgut dieser Individuen genomweit zu rekonstruieren und ihre genetische Zusammensetzung mit der anderer Individuen aus der Vergangenheit und auch heutigen Menschen zu vergleichen [3, 4].
Dass sich lediglich rund zehn Prozent der von uns entnommenen Proben für die Analyse eigneten, war nicht überraschend. Bereits frühere Studien hatten gezeigt, dass die klimatischen Bedingungen in der Region für die Konservierung von DNA äußerst ungünstig sind. Die zehn rekonstruierten Genome wurden auf ein Alter zwischen 3.600 und 2.800 Jahren datiert, das heißt, sie decken auch die Periode des Übergangs von der Bronze- zur Eisenzeit ab.
Genetische Diskontinuität zwischen Bronze- und Eisenzeit in Ashkelon
Der Vergleich der zehn durch uns neu rekonstruierten Genome mit bereits davor publizierten Datensätzen früherer und heutiger Bevölkerungsgruppen zeigte, dass der größte Teil des Erbguts über den gesamten Zeitraum hinweg aus dem lokalen levantinischen Genpool stammte. Jedoch wiesen Menschen, die in der frühen Eisenzeit in Ashkelon lebten, eine europäische Abstammungskomponente auf, die in den bronzezeitlichen Bewohnern der Region noch nicht vorhanden war [5].
Dieser genetische Unterschied ist auf einen Genfluss zurückzuführen, der am Ende der Bronzezeit oder zu Beginn der Eisenzeit von Westen aus über das Mittelmeer nach Ashkelon gelangte. Dies steht mit den auf archäologischen und schriftlichen Aufzeichnungen beruhenden Schätzungen zur Ankunft der Philister an der Südostküste des Mittelmeers im Einklang.
Unsere Modellierung lässt einen südeuropäischen Genpool als plausibelste Quelle erscheinen. Weitere Stichproben und Analysen könnten dazu beitragen, die Population genauer zu bestimmen, durch welche die europäische Komponente nach Ashkelon gelangte.
Der Einfluss der europäischen Komponente war kurzlebig
Bei der Analyse der DNA von Menschen, die in der späteren Eisenzeit in Ashkelon lebten, war die europäische Komponente nicht mehr nachzuweisen. Das heißt: Innerhalb von nicht mehr als zwei Jahrhunderten scheint der genetische Fußabdruck, der in der frühen Eisenzeit eingeführt wurde, im lokalen Genpool aufgegangen zu sein. Das lässt auf eine intensive Vermischung zwischen angestammten und neu eingewanderten Bevölkerungsgruppen schließen.
Den alten Texten zufolge blieben die Menschen von Ashkelon im 1. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung für ihre Nachbarn „Philister“. Eine Unterscheidung aufgrund ihrer genetischen Ausstattung war jedoch zu dieser Zeit nicht mehr gegeben.
Die Archäogenetik trägt zur Beantwortung geschichtlicher Fragen bei
Unsere Studie ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Archäogenetik dazu beitragen kann, lange bestehende Fragen zur Menschheitsgeschichte zu beantworten. Für die Region der östlichen Mittelmeerküste (Levante) beginnen die genetischen Daten unserer Studie eine zeitliche Lücke zu füllen, indem sie belegen, dass der lokale Genpool über die gesamte Bronzezeit hinweg für mehr als ein Jahrtausend Bestand hatte.
Zugleich konnten wir zeigen, dass sich die einzigartigen kulturellen Merkmale der frühen Philister in einer vorübergehenden spezifischen genetischen Signatur widerspiegeln. Diese Erkenntnis und die Kurzlebigkeit der europäischen Genkomponente unterstreicht die Bedeutung zeitlich eng beieinanderliegender Proben zur Untersuchung historischer Fragen. Vorübergehende genetische Einflüsse würden sonst womöglich übersehen, was zu falschen Schlussfolgerungen führen könnte.