Schall nimmt Gestalt an
Winzige Teilchen mithilfe von Ultraschall zu manipulieren oder gar zu beliebigen Mustern zu arrangieren, das gelingt mit der Methode der akustischen Holografie. Forscher um Peer Fischer vom Stuttgarter Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme haben diese Technik erfunden. Nun arbeiten die Physiker schon an deren Anwendung in der Medizin.
Text: Felicitas Mokler
„Ultraschall begegnet uns in vielen Bereichen des Alltags, etwa in der medizinischen Bildgebung, in der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung oder der Abstandsmessung als Einparkhilfe“, erläutert Kai Melde. Doch der Postdoc in der Arbeitsgruppe von Peer Fischer am Max-Planck-Institut für intelligente Systeme weiß Ultraschall noch auf ganz andere Weise zu nutzen. Er hält damit winzige Partikel in der Schwebe oder transportiert sie scheinbar ohne physischen Kontakt von einem Ort an einen anderen. Was nach einem Zaubertrick klingt, ist für Kai Melde und Peer Fischer mittlerweile zur Routinearbeit im Labor geworden. Mit einer ausgeklügelten Technik modifizieren sie akustische Signale so, dass sie Mikrometer kleine Teilchen bewegen und sogar zu nahezu beliebigen Mustern anordnen können. Die Methode ist beispielsweise für medizinische Behandlungen mit Ultraschall, Analysen in der Werkstofftechnik oder labormedizinische Untersuchungen von Zellkulturen in Petrischalen interessant.
Mit der Technik hat das Team um Peer Fischer ein vielversprechendes neues Forschungsfeld aufgetan, geplant war das aber wie so oft in der Wissenschaft nicht. Gewöhnlich entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Nano- und Mikroroboter oder forschen an funktionellen Materialien. Die winzigst kleinen Bauteile dieser Materialien ordnen sie mithilfe von magnetischen Feldern oder chemischen Reaktionen so an, dass sich beispielsweise ein Sensor bildet. „Auf die Manipulationsmethode durch Ultraschall sind wir gekommen, als wir nach einer Möglichkeit gesucht haben, auch biologische Materialen zu bearbeiten“, erklärt Peer Fischer.
Schall als unsichtbare Pinzette
Die Idee an sich, Schall zu formen und als Transportmittel in der Mikro- oder Nanowelt zu nutzen, ist nicht neu. Sie geht auf Forschungsarbeiten aus den 1980er-Jahren zurück, welche erst zur optischen und später auch zur akustischen Pinzette führten. Dabei nutzen Physiker den Strahlungsdruck von Licht- oder Schallwellen, um einzelne Mikropartikel in Luft oder Flüssigkeiten einzufangen und gezielt zu positionieren. Im einfachsten Fall einer akustischen Pinzette schicken sie zu diesem Zweck mit einem Schallsender Druckwellen in ein mit Luft oder Wasser gefülltes Gefäß. Dieser Sender funktioniert wie ein Lautsprecher, allerdings für den unhörbaren Ultraschall. Weil das Medium in dem Behältnis räumlich begrenzt ist, formt sich darin eine stehende Welle, in deren Knotenpunkten die Wellenbewegung ruht. An diesen Orten lassen sich Mikroteilchen einfangen. Der schall wirkt dabei wie eine art unsichtbare Pinzette.
Ordnet man zwei solcher Sender senkrecht zueinander an, überlagern sich die stehenden Wellen, so dass die Knotenpunkte und die darin gefangenen Partikel ein Gitter bilden. Mehrere Schallsender können noch komplexere Muster aus einer Vielzahl an Knotenpunkten erzeugen, die als Pixel in einem Bild dienen. Durch die individuelle Steuerung der einzelnen Sender, lässt sich die Phase der einzelnen Ultraschallwellen einstellen. Die Phase gibt an, wo Wellen einer bestimmten Frequenz ihre maximalen und minimalen Intensitäten erreichen. So können die Forscher die Orte, an denen die akustischen Knotenpunkte entstehen und sich die Mikroteilchen ansammeln, aktiv steuern. Im Prinzip ließen sich die Mikroteilchen auf diese Weise zu beliebigen Mustern arrangieren. Allerdings steigt der Aufwand mit zunehmender Anzahl an Schallsendern enorm. Zudem ist die Auflösung des Bildes durch die Größe der Schallquellen begrenzt.
Um diese Probleme zu umgehen, hat das Team um Peer Fischer und Kai Melde, an dem auch Forschende der Universität Stuttgart beteiligt waren, eine andere Technik ausgetüftelt: Sie ersetzen das Ensemble von mehreren Schallsendern durch ein speziell geformtes Kunststoffrelief, das sie mit einem einzigen Sender beschallen. Bei dieser Kunststoffplatte handelt es sich um ein akustisches Hologramm. Aus der Optik sind Hologramme bekannt, die die Fotografie um die dritte Dimension erweitern. Denn neben der Lichtintensität verwertet die Holografie auch die Phase der Lichtwellen: Bei der Reflexion an einem dreidimensionalen Gegenstand verschieben sich deren Berge und Täler auf charakteristische Weise. Die Phase transportiert daher Information über die räumliche Struktur des Objekts, sodass holografische Bilder ihre typische dreidimensionale Form erhalten.
Auch ein akustisches Hologramm enthält Information über die Phase der Wellen, in diesem Fall der Schallwellen. Es verhält sich daher wie tausende kleiner Schallsender zusammen. Um zu demonstrieren, wie sich akustische Hologramme erzeugen und damit Partikel manipulieren lassen, arrangierten die Stuttgarter Physiker unter anderem Mikropartikel in einer Flüssigkeit zur Friedenstaube von Pablo Picasso. Da das Motiv recht komplex und zugleich feinstrukturiert ist, muss die Auflösung des Hologramms entsprechend hoch sein. Um die Taube aus Partikeln, die sie mit Schall einfangen, nachzubilden, erstellen die Forscher am Computer zunächst eine Phasenkarte des Bildes. dann simulieren sie, wie ein Kunststoffrelief geformt sein muss, damit es einer Ultraschallwelle genau dieses Phasenprofil aufprägt. Je dicker das Material ist, das eine Schallwelle durchdringt, desto stärker wird ihre Phase verzögert. „Per Software berechnen wir die notwendige Schichtdicke in jedem der 15 000 Bildpunkte des Hologramms“, erläutert Kai Melde. So wird jeder Bildpunkt zu einem eigenständigen kleinen Schallsender. Dabei ist ein Bildpunkt rund 375 Mikrometer groß. Das entspricht etwa der halben Wellenlänge des Ultraschallsignals in Wasser und damit der theoretischen Auflösungsgrenze der Schallwellen. Das Kunststoffrelief fertigen die Forscher anschließend im 3D-Druckverfahren an.
Für das eigentliche Experiment füllen sie eine Kammer mit Wasser und fügen 150 Mikrometer große Silikonkügelchen hinzu. Unterhalb der Kammer platzieren sie das Hologramm, das sie mit einem Ultraschallsender beschallen. Tatsächlich ordnen sich die im Wasser schwimmenden Silikonkügelchen nun zu einer Kopie von Picassos Friedenstaube an. Damit die Teilchen nicht ihre Form verlieren, sobald der Schall abgeschaltet wird, überziehen die Forscher sie mit einem photochemischen Material. „Wenn wir die Partikel dann mit UV-Licht bestrahlen, verbinden sie sich lokal, und die Strukturen lassen sich dauerhaft erhalten“, erläutert Peer Fischer. Statische Bilder zu erzeugen, ist aber nicht die einzige Fähigkeit akustischer Hologramme. So erzeugen Kai Melde und Peer Fischer mit einem anderen, entsprechend strukturierten Kunststoffrelief eine Ringwelle, auf der sie Mikroteilchen sogar zum Surfen bringen.
Anwendungen in Medizin und Technik
Die ersten Experimente zur akustischen Holografie wirken zwar fast wie eine ausgeklügelte Spielerei, die Technik könnte aber verschiedene Anwendungen in Medizin und Technik finden. So könnten akustische Hologramme, die mehrere Ultraschallquellen simulieren, die Untersuchung von Werkstoffen, zum Beispiel in Flugzeutragflächen, auf Risse vereinfachen. Dabei wird ausgenutzt, dass sich Schall in einem intakten Material anders fortpflanzt als in einem defekten. „Besonders spannend finde ich aber die Möglichkeiten, die akustische Holografie für die Medizin, vor allem die Therapie mit Ultraschall bietet“, sagt Peer Fischer. Schon heute wird Ultraschall eingesetzt, um krankes Gewebe zu zerstören oder Nierensteine zu zertrümmern. Mit Hologrammen ließen sich nun maßgeschneiderte Schallprofile erzeugen, die nur krankes Gewebe treffen.
„Die akustische Holografie erlaubt aber auch den Einsatz von Ultraschall im Gehirn“, erklärt Peer Fischer. „Das ist konzeptionell völlig neu, weil solche Behandlungen bislang nicht möglich sind.“ Denn die Dicke des Schädelknochens schwankt so stark, dass ein Ultraschallsignal dadurch bis zur Unbrauchbarkeit verzerrt wird. Dass ein holografisches Kunststoffrelief diese Schwankungen ausgleichen kann, hat kürzlich ein spanisches Team der Technischen Universität Valencia gezeigt. Peer Fischers Gruppe arbeitet gemeinsam mit Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik daran, die Methode in die medizinische Anwendung zu bringen. Für die holografische Entstörung von Ultraschallwellen im Gehirn, ermitteln Mediziner anhand von Röntgenbildern zunächst, wie sehr die Stärke der Schädeldecke variiert und erstellen dann ein Kunststoffrelief, das die Unterschiede wettmacht. Die Methode könnte helfen, krankes Gewebe etwa eines Tumors im Gehirn zu entfernen.
Mittlerweile arbeiten die Forscher auch an einem Verfahren, Zellen in einer Petrischale mittels akustischer Holografie gezielt zu strukturieren, ohne dabei in die Kultur eindringen und die Zellen mechanisch berühren zu müssen. Auf diese Weise möchten sie künstliche Tumore oder Organoide, also Labormodelle von Organen herstellen, die Tests von medizinischen Wirkstoffen verbessern und auf diese Weise auch Tierversuche ersetzen. In ihren Experimenten arbeiten die Forscher mit Darmkrebszellen, weil sich diese im Labor gut züchten lassen, aber auch weil künstliche Tumore zu den möglichen Anwendungen der akustischen Pinzette gehören.
Um Tumore oder Organe nachzubilden, suchen die Forscher gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung zunächst einen Weg, Zellen in zwei Dimensionen zu beliebigen Mustern zu ordnen. Im nächsten Schritt weiten sie die Zellarrangements dann in die dritte Dimension aus, die für belastbare medizinische Studien nötig sind. „Zellen verhalten sich in einer dreidimensionalen Umgebung anders als in einer zweidimensionalen Ebene. Und für bestimmte Medikamententest, Versuche zum Tumorwachstum oder auch Organoide benötigt man einfach die dritte räumliche Komponente “, sagt Peer Fischer.
Um aus Zellen zweidimensionale Muster oder auch dreidimensionale Formen zu erzeugen, betten die Forscher sie in ein Hydrogel ein, in dem sie sich später einmal weiter vermehren sollen. „Das Problem dabei ist, dass Zellen vorwiegend aus Wasser bestehen“, erläutert Peer Fischer. „Daher haben sie kaum Kontrast zum umgebenden Hydrogel und sind schwer, mit einer akustische Pinzette zu greifen.“ Die Zellen folgen nämlich einfach der Wellenbewegung des Schalls. Doch bald erkannten die Forscher, dass der Ultraschall die Partikel nicht nur unmittelbar durch seine Schwingungen antreibt, sondern auch indirekt, weil er in der gesamten Flüssigkeit Strömungen anregen kann. Indem sie die verschiedenen Bewegungsformen sorgfältig aufeinander abstimmen, gelingt es ihnen schließlich doch, die Zellen in die gewünschten Positionen zu bringen.
Also simuliert Kai Meldes Kollege Zhichao Ma am Computer, wie sich die durch den Ultraschalldruck im Gel hervorgerufenen Strömungen und die akustischen Kräfte, die auch direkt auf die Zellen wirken, optimal kombinieren lassen, um die Zellen zu bestimmen Mustern anzuordnen. Das passende Hologramm dazu fertigte Kai Melde an. Das an der Unterseite der Petrischale platzierte Relief beschallten die Physiker schließlich mit Ultraschall. Auch diesmal organisierten sich die Zellen in der Petrischale genauso wie geplant – zum Beispiel in Form des Max-Planck-Emblems der Minerva.
Damit Mediziner später einmal mit den Zellen arbeiten können, dürfen die Zellkulturen ihre Form jedoch nicht wieder verlieren, sobald der Schall abgeschaltet wird – fotochemischer Klebstoff ist für die Zellen allerdings keine Option. Doch auch dieses Problem haben die Physiker am Max-Planck-Institut für intelligente Systeme bereits gelöst. „Wir verwenden ein Hydrogel, das zunächst flüssig ist und nach einiger Zeit geliert“, erläutert Peer Fischer. Denn die von Peer Fischer und seinem Team verwendete Substanz ist temperaturempfindlich und erwärmt sich durch den Schalldruck leicht. Die Temperaturerhöhung führt dazu, dass das Gel nach wenigen Minuten, wenn die Zellen die gewünschte Konfiguration eingenommen haben, erstarrt. So können die Zellen nicht mehr davon schwimmen, sich aber dennoch teilen. Und für die medizinische Forschung auch wichtig: „Wir haben nachgewiesen, dass die Zellen die akustische Behandlung unversehrt überleben“, sagt Kai Melde. „Anschließend ließen sie sich in der im Gel fixierten Anordnung weiter kultivieren.“
Zellstrukturen in drei Dimensionen
Nachdem das Stuttgarter Team mit der akustischen Holografie Zellmuster in zwei Dimensionen bilden kann, arbeitet es nun an dreidimensionalen Strukturen. Doch der Schritt in die dritte Dimension ist alles andere als trivial. Zwar lassen sich mit Hologrammen auch dreidimensionale Schallprofile erzeugen, was Peer Fischers Team in Experimenten auch schon gelungen ist. Im Gegensatz zu den bisherigen Versuchen in zwei Dimensionen werden Partikel oder Zellen jetzt aber nicht mehr an einer Oberfläche angeordnet, sondern sind in alle Richtungen frei beweglich. Die neu gewonnene Freiheit ist von nur einer Seite schwierig zu kontrollieren. „Wenn wir Partikel in drei Dimensionen kontrollieren wollen, müssen auch aus allen Richtungen Schallwellen auf sie einwirken. Man braucht also mehr als einen Schallsender“, erklärt Kai Melde. Deshalb entwickeln Melde und seine Kollegen nun Konzepte, wie sich ein Volumen mit zwei oder drei Sendern von verschiedenen Seiten beschallen lässt und sich die Partikel dann zu dreidimensionalen Mustern zusammenfinden können.
Der Aufwand, Zellen mithilfe der akustischen Holografie in drei Dimensionen zu strukturieren, könnte sich in Zukunft beispielsweise bei der Konstruktion von Organoiden auszahlen. Denn die zellschonende Technik kann viel Zeit sparen: Ist das Hologramm-Plättchen einmal gedruckt, sind die Zellen in wenigen Minuten in der Petrischale arrangiert. Ließe man Organoide hingegen per 3D-Drucker produzieren, würde das Stunden oder sogar Tage dauern, weil der 3D-Drucker aus einem Material nur Punkt für Punkt eine Gerüststruktur aufbaut, an dem die Zellen dann wachsen. Dagegen lassen sich die Zellen mit einem optischen Hologramm alle gleichzeitig in Form bringen. Während die Forscher um Peer Fischer und Kai Melde noch an der geeigneten Technik tüfteln, dreidimensionale Zellstrukturen zu formen, loten sie schon die nächsten Möglichkeiten aus, die akustische Holografie bietet. So wollen sie Schallprofile und damit etwa die Arrangements von Partikeln in Bewegung versetzen. Zu diesem Zweck suchen sie Wege, die Hologramme beinahe in Echtzeit zu verändern. In ganz unterschiedlichen Richtungen erkunden die Stuttgarter Forscher nun also das Gebiet der akustischen Hologramme, das sie selbst erschlossen haben, und werden dabei künftig vermutlich noch manches Terrain mit Ultraschall sondieren.
Auf den Punkt gebracht
Akustische Hologramme nutzen wie optische Hologramme nicht nur die Intensität einer Schallwelle, sondern auch deren Phase. Auf diese Weise lassen sich durch Überlagerung vieler Wellen komplexe Schalldruckprofile erzeugen, mit denen sich Teilchen in einer Flüssigkeit manipulieren und ordnen lassen.
Akustische Hologramme stellen Stuttgarter Max-Planck-Forscher her, indem sie zunächst zurückrechnen, in welchem Verhältnis der vielen tausenden Teilwellen ein gewünschtes Muster zusammengesetzt werden kann und welches Hologramm schließlich diese einzelnen Wellen erzeugen kann.
Mithilfe der akustischen Holografie wollen die Forscher auch künstliche Tumore oder Organoide herstellen, an denen sich medizinische Wirkstoffe realitätsnah testen lassen. Auf diese Weise lässt sich möglicherweise ein Teil der Tierversuche in der Medikamentenentwicklung ersetzen.