Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Die bedrohte Haut auf der wir leben
Das Leben der Menschen auf der Erde hängt von der Funktionsfähigkeit der äußersten Schicht unseres Planeten - ihrer Haut - ab. Sie reicht von den erdnahen Schichten der Atmosphäre über die verschiedenen Ökosysteme der Erdoberfläche bis hin zu den unterirdischen Grundwasserleitern und wird „kritische Zone“ genannt. In ihr geben sich die Kreisläufe der Bioelemente Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Phosphor und Schwefel ein Stelldichein. Angetrieben durch die Sonne, wird Wasser verdunstet und aufs Land transportiert, wo es als Grundlage allen Lebens benötigt wird.
Pflanzen nutzen die Sonne und das Wasser, um Kohlendioxid der Atmosphäre zu reduzieren und zusammen mit Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor Biomasse aufzubauen. Sie wird wieder durch Mikroorganismen zersetzt und steht so für einen neuen Kreislauf zur Verfügung. Der Mensch hat durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, Düngung, Landnutzung und Landnutzungsänderungen in die Kreisläufe der kritischen Zone eingegriffen. Die Folgen sind offensichtlich: Klimawandel und Biodiversitätsverlust sind zu Schlagworten unsere Zeit geworden. Erstmals in der langen Erdgeschichte tritt der Mensch als global entscheidender Faktor auf und leitet durch sein Handeln das neue Erdzeitalter des Anthropozäns ein. Wir untersuchen, wie die kritische Zone der Erde - ihre Haut - funktioniert, um ihre bedrohte Funktionsfähigkeit sicherzustellen.
Unsichtbare Helfer
Wie unsere menschliche Haut, ist auch die irdische kritische Zone von einer Gemeinschaft unterschiedlichster Mikroorgansimen besiedelt. Während sie auf der menschlichen Haut vor Krankheiten schützen und wichtige Stoffumsetzungen durchführen, ist die Rolle der Mikroorganismen für Stoffkreisläufe in der kritischen Schicht der Erde bislang wenig untersucht. Mikroorganismen im Boden kommt jedoch eine entscheidende Rolle bei der Speicherung von Kohlenstoff als organische Bodensubstanz zu [1]. Bisher nahm man an, dass Mikroorganismen lediglich für den Abbau von organischer Bodensubstanz zuständig sind und die Speicherung von Kohlenstoff im Boden nur darauf beruht, dass er nicht vollständig abgebaut werden kann.
Mithilfe natürlich vorkommender Isotope konnten wir nachweisen, dass aus den Resten der verdauenden Mikroorganismen organische Bodensubstanz gebildet wird. Der Boden funktioniert also wie das Verdauungssystem der kritischen Zone. Dabei werden die mikrobiellen Auf- und Abbauprozesse stark von den Bedingungen von Temperatur, Feuchte, Nahrungsangebot, Nährstoffangebot und Oberflächeneigenschaften der mineralischen Bodenbestandteile bestimmt. Ist zum Beispiel zu wenig Stickstoff im Boden vorhanden, wird dieser durch mikrobiellen Abbau aus organischer Bodensubstanz gewonnen. Wird aber zu viel davon erzeugt oder durch Düngung zugeführt, kann er mikrobiell in gasförmigen Stickstoff umgewandelt werden, der aus dem Boden entweicht und als Lachgas zur Erderwärmung beiträgt.
Dabei werden die Mikroorganismen durch Umweltreize aktiviert. Wir konnten zeigen, dass ein und derselbe Prozess von ganz verschieden Mikroorganismen durchgeführt wird [2]. Welcher Mikroorganismus und welche Kooperationspartner aktiviert werden, hängt von den Rahmenbedingungen ab. In unseren Versuchen wurden pflanzliche und mikrobielle Biomasse erwartungsgemäß von unterschiedlichen Bakterien abgebaut. Je nachdem ob symbiotische oder nicht-symbiotische Pilze vorhanden waren (siehe Abb. 1), waren unterschiedliche Bakterien bei demselben Abbauprozess involviert. Das funktionelle Zusammenspiel und die hier beschriebene funktionelle Redundanz der verschiedenen Mikroorganismen erklärt, warum Gemeinschaften von Bodenmikroorganismen in ihrer Funktionsweise kaum verstanden sind. Die Forschungslücke, welchen Einfluss diese unsichtbaren Helfer auf die kritische Zone haben, ist signifikant.
Ringelreihen, Tanz zu zweien, dreien, vielen
Nicht nur im Unsichtbaren spielen sich solche Interaktionen zwischen mikrobiellen Arten ab. Im weltweit größten Langzeit-Biodiversitätsexperiment, dem Jena Experiment, wurden im Jahr 2002 Versuchsflächen mit 1, 2, 4, 8, 16, 32 und 64 Pflanzen angelegt, um das Zusammenspiel zwischen Pflanzen, anderen Arten und den Stoffkreisläufen untersuchen. Das Experiment sollte klären, wie viele Arten notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit des Systems aufrecht zu erhalten. Die Ergebnisse sind eindeutig: Mehr Arten sichern einerseits die Funktionsfähigkeit des Systems ab, da jede Art unterschiedliche Eigenschaften mitbringt. Diese helfen besonders nach extremen Ereignissen wie Überflutung oder Trockenheit bei der Regeneration des (Öko-)Systems. Andererseits ergänzen sich verschiedene Arten auch in ihren Funktionsweisen, und Artenmischungen erzeugen mehr Biomasse, speichern mehr Kohlenstoff und Stickstoff im Boden und erhalten größere Nahrungsnetzwerke als die entsprechende Summe aus Einzelkulturen ergeben würde (Buzhdygan et al. 2020). Die Mischungen vieler Arten sind demnach nicht nur gefälliger, sie sichern auch die Funktionsweise der kritischen Zone ab.
Tiefer schauen, um mehr zu verstehen
Die fördernden Interaktionen zwischen den Arten finden im Verborgenen- unter der Erdoberfläche - statt und sind mit einfachen Methoden nicht zu ergründen. Mit ultrahoch-auflösender Massenspektrometrie verfolgten wir den Stoff- und Energieaustausch zwischen dem Boden, den Mikroorganismen und den Pflanzen. Dank langjähriger Zusatzunterstützung durch Förderer der Max-Planck-Gesellschaft wie der Zwillenberg-Tietz Stiftung konnten wir neue Verfahren entwickeln (Roth et al. 2019) [4] und zeigen, dass gelöste organische Verbindungen im Bodenwasser – nicht wie bisher angenommen - Abfälle der Stoffumsätze sind, sondern ganz im Gegenteil das Kommunikationsmittel des Bodens darstellen und chemische Informationen über Pflanzen, Mikroorganismen und den Boden enthalten (siehe Abb. 2). Derzeit verschneiden wir unsere und andere „omische“ Datensätze mit Stoffwechseldatenbanken, um den chemischen Code vollständig zu knacken.
Besondere Hoffnungen liegen auf Zusatzinformationen, die wir aus intakten Molekülen der mikrobiellen Zellmembranen gewinnen (Ding et al. 2020) [5], da sie, in Verbindung mit Isotopenuntersuchungen, Rückschlüsse auf die Beteiligung der einzelnen Arten am Stoff- und Energieaustausch ermöglichen und uns so erlauben, den Stoffwechsel der Kritischen Zone und seine Regulation zu verstehen.