Risikofaktoren für multiplen Drogenkonsum

Konsum von Cannabis in der Jugend, Missbrauchserfahrungen oder Migration erhöhen die Gefahr für eine extreme Form des Drogenkonsums

29. April 2021

Viele Drogenabhängige nehmen nicht nur eine Substanz ein, sondern mehrere. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen haben untersucht, welche Rolle Gene und Umwelt bei der Entstehung eines solchen multiplen Substanzgebrauchs spielen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass neben genetischen Faktoren gerade die Anhäufung mehrerer ungünstiger Umweltfaktoren dazu führt, dass Menschen in eine solch extreme Form des Drogenkonsums abrutschen. Unter den Risikofaktoren waren neben sexuellem und körperlichem Missbrauch, dem Leben in der Großstadt und Migrationserfahrungen auch der Konsum von Cannabis und Alkohol vor dem 18. Lebensjahr. So könnten Cannabis und Alkohol für anfällige Personen geradezu als Einstiegsdrogen fungieren und den Weg hin zu problematischerem Substanzgebrauch ebnen.

Sie schlucken verschreibungspflichtige Schlaf- oder Betäubungsmittel ein, schnüffeln Klebstoffe und konsumieren Kokain oder Ecstasy. Multiplen Substanzgebrauch nennen Forscher es, wenn Menschen scheinbar wahllos mehrere Arten von Drogen konsumieren. Personen mit diesem Erkrankungsbild nehmen am gesellschaftlichen Leben häufig überhaupt nicht mehr teil.

Wie kommt es zu der extremen Form des Konsums? „Die Gründe für Polytoxikomanie oder multiplen Substanzgebrauch sind bisher wenig erforscht“ sagt Hannelore Ehrenreich, Leiterin der Klinischen Neurowissenschaften am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen. „Dabei ist das Phänomen leider weit verbreitet und verursacht jährlich Kosten in Milliardenhöhe.“

Schätzungen zufolge konsumieren in den USA etwa acht bis 18 Prozent aller Teenager drei oder mehr Arten von Drogen regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg. Dieses als Polytoxikomanie bezeichnete Phänomen birgt nicht nur die Gefahr, mehrere Substanzabhängigkeiten zu entwickeln, sondern zieht häufig auch weitere psychische und körperliche Schäden nach sich. Die Forscher des Max-Planck-Instituts haben anhand einer außergewöhnlich gut charakterisierten Studienpopulation von Schizophrenie-Erkrankten untersucht, welche Faktoren erklären könnten, weshalb einige Menschen eine Polytoxikomanie entwickeln und andere nicht.

Häufung ungünstiger Umweltfaktoren

Die Auswertung dieser detaillierten Daten zeigte, dass es vor allem die Anhäufung mehrerer ungünstiger Umweltfaktoren ist, die ein großes Risiko für den späteren multiplen Substanzgebrauch mit sich bringt. Einige dieser Risikofaktoren ließen sich mit relativ einfachen Maßnahmen verhindern.  Der Konsum von Cannabis vor dem 18. Lebensjahr war beispielsweise ein ganz entscheidender Faktor, der die Wahrscheinlichkeit für eine Polytoxikomanie im Erwachsenenalter mehr als verdoppelte. Ebenso zählten körperlicher und sexueller Missbrauch, Migration, Aufwachsen in einer Großstadt, sowie problematischer Alkoholkonsum vor dem 18. Lebensjahr als ungünstigen Umweltfaktoren. Traten gleich mehrere davon auf, war nicht nur die Wahrscheinlichkeit für späteren multiplen Substanzgebrauch stark erhöht, sondern auch die für aggressives Verhalten und Suizidgedanken. Außerdem zeigten die Betroffenen schon in deutlich jüngeren Jahren erste Anzeichen von Schizophrenie. Die Erkrankung, zu der vermutlich bereits eine genetische Veranlagung bestand, kam also viel früher zum Vorschein als bei unbelasteten Personen, die keinem dieser ungünstigen Umwelteinflüsse ausgesetzt waren.

„Der Effekt der Anhäufung dieser Risikofaktoren wird häufig unterschätzt“, sagt Agnes Steixner-Kumar, Erstautorin der Studie. Auch sie war jedoch überrascht, wie deutlich sich der Zusammenhang in den Daten zeigte. Menschen, die bereits in Kindheit und Jugend drei oder mehr Risikofaktoren ausgesetzt waren, konsumierten bereits vor Erreichen des 18. Lebensjahrs mehrere Arten von Drogen regelmäßig.

Genetische Varianten

Zudem untersuchten die Forscher die DNA der Studienteilnehmer mittels Blutproben und entdeckten mehrere genetische Varianten, die zur Entstehung von Polytoxikomanie beitragen könnten. Die Ergebnisse dieser bisher einzigen Studie zur Rolle der genetischen Veranlagung bei multiplem Substanzgebrauch, müssen nun in Replikationsstudien überprüft werden. Das ist allerdings gar nicht so einfach, denn weltweit gibt es keine vergleichbare Stichprobe von Menschen mit dem Erkrankungsbild Polytoxikomanie, die derart intensiv zu ihrem Substanzgebrauch und möglichen Umwelteinflüssen befragt wurden.

Dabei wäre es wichtig, die Ursachen des multiplen Substanzgebrauchs besser zu verstehen, um effektive Präventionsstrategien zu entwickeln und junge Erwachsene davor zu bewahren, in diese extreme Form des Drogenkonsums hineinzurutschen. Während man seine genetische Veranlagung nicht verändern kann, können Gesellschaft und Politik nämlich zumindest dafür sorgen, dass anfällige Personen nicht noch zusätzlichen Risikofaktoren in der Umwelt ausgeliefert sind.

„Viele Präventionsstrategien beruhen bislang eher auf Vermutungen darüber, welche Umstände multiplen Substanzgebrauch begünstigen. Darum ist es so wichtig, diese Fragen einmal tatsächlich mit wissenschaftlichen Methoden zu beantworten“, so Ehrenreich. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher die Umwelt daher noch genauer charakterisieren. Auch wenn einige Faktoren, wie etwa das Leben in einer Stadt, immer wieder mit psychischen Erkrankungen assoziiert werden, ist nämlich noch nicht klar, welche Aspekte des Stadtlebens tatsächlich problematisch sind.

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