Drehscheibe der Wissenschaft
Negative Bilanz für Deutschland bei der Ab- und Zuwanderung von Forschenden
Es gibt einen regen Austausch an wissenschaftlichen Kräften zwischen Deutschland und anderen Ländern, allen voran den USA, Großbritannien und der Schweiz. Unterm Strich aber verliert die Bundesrepublik dabei mehr wissenschaftliche Köpfe als sie gewinnen kann. Das zumindest legt eine Auswertung der Datenbank „Scopus“ nahe, in der Artikel aus über 25.000 wissenschaftlichen Publikationen erfasst sind.
Die Datenbank Scopus erfasst, wie häufig eine Studie zitiert wurde, wer sie (mit-)verfasst hat und welchen Instituten beziehungsweise welchen Ländern die Forschenden zum Zeitpunkt der Veröffentlichung angehörten. Xinyi Zhao, Samin Aref und Emilio Zagheni vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung sowie Guy Stecklov von der University of British Columbia haben diese Daten nun daraufhin untersucht, wie viele Autorinnen und Autoren von mindestens einer Veröffentlichung an einer deutschen Institution tätig waren und ob sie vorher oder nachher auch von Institutionen in anderen Ländern aus publiziert haben. Ausgewertet wurde der Zeitraum von 1996 bis 2020.
Insgesamt fanden Xinyi Zhao und ihr Team über eine Million Forschende, die in dieser Zeit von deutschen Institutionen aus publiziert hatten. Eine beachtliche Zahl also, die einmal mehr zeigt, dass Deutschland zu Recht als Kraftzentrum für die Wissenschaft wahrgenommen wird.
Rund 44 Prozent der Beteiligten tauchten nur mit einer einzigen Publikation bei Scopus auf, weitere 42 Prozent veröffentlichten häufiger, aber blieben währenddessen weiter in Deutschland tätig, und knapp 14 Prozent veröffentlichten von Institutionen verschiedener Länder, waren also international mobil.
Von einer ausländischen an eine deutsche Institution wechselten demnach 3,7 Prozent, umgekehrt gingen 4,5 Prozent ins Ausland, 2,7 Prozent waren nur zwischendurch im Ausland tätig und kehrten nach Deutschland zurück und 3 Prozent gingen den umgekehrten Weg und waren nur zwischenzeitlich in Deutschland. Zumindest für die in Scopus gelisteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lässt sich demnach feststellen: Obwohl hierzulande die Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit 3,1 Prozent des Bruttoinlandproduktes vergleichsweise hoch sind, verliert Deutschland mehr Forschende als es gewinnen kann.
Das gilt vor allem für die nach den Scopus-Daten wichtigsten Zu- und Abwanderungsländer für Forschende: die USA, Großbritannien und die Schweiz. Während in dem untersuchten Zeitraum knapp 50.000 Forschende aus diesen Ländern nach Deutschland kamen, gingen knapp 59.000 den umgekehrten Weg.
Dass dieser Befund durchaus von Dauer ist, zeigt die zeitliche Analyse der Zu- und Abwanderungszahlen. Fast in dem gesamten untersuchten Zeitraum von 1998 bis 2017 sind die Nettozahlen der Migration von Forschenden, die mit Publikationen bei Scopus vertreten waren, negativ.
Dabei gehören gerade die international mobilen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu jener Gruppe, deren Publikationen sehr häufig zitiert werden. In besonderem Maße gilt das für Forschende, die nach einem Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückkehren oder die nur vorübergehend in Deutschland tätig waren. Wie hoch die Zitationsrate ist, hängt aber auch mit dem Land der Zu- beziehungsweise Abwanderung zusammen: Hohe Raten wiesen vor allem Forschende auf, die nach Dänemark, Schweden oder Österreich abwanderten, oder aus Südkorea und den Niederlanden nach Deutschland kamen.
Darüber hinaus tragen zugewanderte wissenschaftliche Kräfte anscheinend auch zu einem etwas ausgeglicheneren Geschlechterverhältnis in naturwissenschaftlichen Fächern wie den Ingenieurswissenschaften, Physik, Mathematik und Informatik bei: Kommen in Deutschland etwa auf jede Physikerin fast neun Physiker, liegt das Verhältnis bei den zugewanderten Kräften lediglich bei etwa eins zu sechs.
Die Studie wurde vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.