Naturnahe, fraktale Architektur fördert Wohlbefinden

Forschende fordern Stadtplanung mit naturwissenschaftlichen Methoden

Ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Forschenden macht Grundlagenforschung und naturwissenschaftliche Methoden nutzbar für Stadtplanung und Architektur. Die Schlussfolgerung: fraktale und naturähnliche Gestaltung fördert messbar das physische und psychische Wohlbefinden. Die Forderung: dieses Wissen gezielt in stadtplanerische Entscheidungen einfließen zu lassen.
 

Jedes Jahr geben Touristen Millionen aus, um nach Barcelona zu reisen – nicht zuletzt, um dort über die oft als schönste Straße der Welt gerühmte Promenade „Las Ramblas” zu flanieren. Was macht diese Straße so besonders, was macht es so erstrebenswert, auf ihr zu spazieren und den Blick von Fassaden und Bäumen zu Cafés und Geschäften schweifen zu lassen?

Aenne Brielmann vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen hat gemeinsam mit ihrem interdisziplinären Forschungsteam umfassende Antworten auf diese Frage gefunden. „Stadtplanung und Architektur operieren bislang meist losgelöst von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Aber mittlerweile wissen wir viel darüber, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und könnten dieses Wissen auch gezielt einsetzen“, erläutert sie die Motivation ihrer Untersuchung.

Mathematische und neurowissenschaftliche Methoden für die Stadtplanung

Die Forschenden verzichten daher bewusst auf Fragebögen, denn Umfragen laufen Gefahr, vor allem zu messen, was Menschen aufgrund ihrer Prägung als angenehm und schön empfinden, weil etwa das Kunstverständnis oder die Gewöhnung an heutige Städte die Antworten beeinflussen. Brielmann und ihre Kollegen interessiert hingegen, welche Präferenzen angeboren und biologisch bedingt sind. Dafür setzen sie mathematische und neurowissenschaftliche Methoden ein. „Eye-tracking beispielsweise ist ein wunderbares Werkzeug, um Entscheidungen in Architektur und Stadtplanung auf Basis handfester Informationen zu treffen“, sagt Brielmann. „Wir messen dabei, wohin Menschen am meisten schauen.

Die Blickrichtung ist in der Regel ein entscheidender Indikator dafür, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Wenn wir uns zum Beispiel fragen, ob Menschen sich im Frankfurter Flughafen gut orientieren können, dann müssen wir erst einmal wissen, ob sie überhaupt in Richtung der Beschilderung schauen.“

Die Blickrichtung deutet darüber hinaus auch Vorlieben und Gefallen an: „Schon bei Kleinstkindern können wir feststellen, dass sie ihren Blick auf angenehme Gegenstände lenken und sogar ihren Körper auf diese Objekte ausrichten”, so Brielmann. Das macht es auch einfacher und natürlicher, eine schöne Straße wie Las Ramblas entlangzulaufen: Die aufeinanderfolgenden visuellen Signale fördern die Fortbewegung, weil sich dem Spaziergänger immer neue attraktive Ziele präsentieren. Gleichzeitig reduzieren sich Anspannung und Stress.

Fraktale Muster – von der Natur abgeschaut

Auch darüber, was im Einzelnen ein Gebäude oder eine Straße attraktiv macht, hat das Team Erkenntnisse: Was der Natur ähnelt, wird von Menschen als angenehm empfunden. Das bedeutet nicht nur, dass die Integration von Naturelementen wie Sonnenlicht, Wasser und Pflanzen einen positiven Effekt auf das urbane Erleben hat. Auch abstraktere Prinzipien können der Natur abgeschaut sein: „Nehmen wir etwa einen Baum: die Struktur eines Astes ähnelt dem des ganzen Baums, und dieses Muster wiederholt sich im Baum in immer kleineren Formen. In anderen Worten: Der Baum ist fraktal, und damit ist er visuell stimulierend.“

Menschen, so Brielmann, schätzten fraktale Designs auch in der Architektur: „Je mehr fraktale Muster eine Fassade bietet, desto eher bleiben unsere Augen an ihr hängen. Die meisten traditionellen Architekturstile binden fraktale Elemente ein – aber eine blanke Beton- oder Glasfront hat unseren Augen nichts zu bieten, sie ist gewissermaßen für uns unsichtbar.“

Die Forschenden rufen daher dazu auf, modernistische Gestaltungsprinzipien umsichtig einzusetzen. Architektur unterliege nicht nur künstlerischen Kriterien, so Brielmann: „Wer ins Museum geht, trifft die Entscheidung, sich Kunst anzusehen, aber bei Architektur haben wir keine Wahl. Architekten müssen einsehen, dass sie auch für die überwiegende Mehrheit der Menschen bauen, die keine Architekten sind. Und um deren Wohlbefinden geht es uns.“

 

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