Abbau krankmachender Proteine
Forschende entwickeln neuen Krebsprotein-Killer
Die meisten Krankheiten entstehen durch außer Kontrolle geratene Proteine. Bisher kann leider nur ein Bruchteil dieser Unruhestifter mit den gängigen Arzneien gestoppt werden. Ein großer Hoffnungsträger in der pharmazeutischen Forschung ist eine neue Wirkstoffklasse, die sogenannten Protacs. Sie markieren Proteine für den gezielten Abbau durch das zelleigene Protein-Entsorgungssystem. Die Forschungsgruppen um Herbert Waldmann vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie und Georg Winter vom Forschungszentrum für molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben nun eine neue Möglichkeit der Markierung von krankhaft veränderten Proteinen mit der Protac-Strategie entdeckt. Dies könnte das bisher stark eingeschränkte Spektrum von Markierungsmöglichkeiten immens erweitern und neue Möglichkeiten aufzeigen, Proteine in bestimmten Geweben gezielt abzubauen.
Viele der heutigen Medikamente sind kleine einfache Moleküle. Sie wirken meist, indem sie die Aktivität von Proteinen beeinflussen, die an krankhaft entgleisten Prozessen beteiligt sind, und genau das macht ihre Entwicklung extrem kompliziert. Denn für jedes Protein muss ein hochangepasstes Molekül entwickelt werden, das wie ein Hochsicherheitsschlüssel in das dazugehörige Schloss – das aktive Zentrum des Proteins – passt. Proteine, die aktiv an krankhaft entgleisten Prozessen beteiligt sind, bilden aber nur einen Bruchteil der krankheitsrelevanten Proteine. Aus diesen Gründen gelten viele Proteine immer noch als therapeutisch unangreifbar.
Ein Großteil der unangreifbaren Proteine sind interessante Ziele in der Krebsforschung. Das vielleicht Prominenteste unter ihnen ist das kleine Ras-Protein. Eine einzige kleine Veränderung in Ras reicht aus, den Schalter für Zellwachstum unumkehrbar auf „an“ umzulegen – mit gravierenden Folgen: Die Zellen vermehren sich rasant und unkontrolliert. So findet man in fast jedem vierten Tumor Ras-Mutationen. In einer bahnbrechenden Arbeit entwickelte ein Team von Dortmunder Max-Planck-Forschenden um Herbert Waldmann bereits 2013 eine neue Strategie, das als bisher unangreifbar geltende Ras doch angreifbar zu machen: Anstatt es direkt anzuvisieren, manipulierten die Forschenden mit einem speziell entwickelten Molekül gegen das Hilfsprotein PDE delta den Transport und somit die Aktivität von Ras in der Zelle. Den Forschenden gelang es jedoch nicht, die krebstreibende Aktivität von Ras vollständig zu stoppen
Stempel für den Abbau
Nur zwei Jahre nach der Arbeit von Waldmann entwickelten amerikanische Forschende eine neue hoffnungsvolle Wirkstoffklasse zur Ausschaltung von krankhaften Proteinen: die sogenannten Protacs (Proteolysis-Targeting Chimeras). Diese kapern wirksam die körpereigene Protein-Müllabfuhr. Das aus zwei Armen bestehende große Moleküle packt auf einer Seite das Zielprotein und auf der anderen die E3-Ligase des Protein-Abfallsystems. Diese fordert das Abfallsystem auf, das krankhafte Protein zu entsorgen. „Die Protacs müssen nur mit hoher Selektivität an ihr Ziel binden, anstatt auf komplizierte Weise die enzymatische Aktivität des Zielproteins zu hemmen. Das Prinzip ist theoretisch auf alle Proteine anwendbar, auch auf unseren Ras-Transporter PDE delta, wie wir in unserer aktuellen Arbeit zeigen“, sagt Waldmann
Herbert Waldmann und Georg Winter haben mit ihren Teams einen neuen Protac bestehend aus dem von ihnen entwickelten PDE-delta-Inhibitor gebaut. Diesen verlinkten sie an ein gut untersuchtes Molekül, das bekanntermaßen ein weiteres Abbausystem alarmiert, das auch größere Zellbestandtteile verarbeiten kann. „Unsere Screens haben jedoch offenbart, dass unser Protac gar nicht die sogenannte Makroautophagie aktiviert, sondern das Protein-Abbausystem“, sagt Georg Winter. „Besonders interessant dabei ist, dass dieser eine neue Ligase bindet, die für Protacs bisher nicht zugänglich war.“
Momentan werden fast ausschließlich zwei E3-Ligasen als Bindungstellen für Protacs genutzt. In unseren Körper existieren jedoch mehr als 600 E3-Ligasen. Und einige davon sind nur in ganz bestimmten Geweben vorhanden. „Mit gewebespezifischen Ligasen könnte man den Ort der Aktivität der Wirkstoffe gezielt steuern“, sagt Waldmann. „Unsere Entdeckung ermöglicht die weitere biologisch und medizinal-chemische Erforschung der gefundenen Ligase. Sie könnte dazu beitragen, das Spektrum pharmazeutisch nutzbarer Protacs zu erweitern und eines Tages gezielt Proteine in bestimmten Geweben abzubauen.“