„Wissenschaftsförderung nur bei Gesinnungsbekenntnissen ist verfassungswidrig“
Soll die staatliche Förderung von Kunst und Wissenschaft von einem Bekenntnis zur Demokratie oder gegen Antidiskriminierung abhängig werden? Nein, meinen Max-Planck-Rechtsexperten.
Ausgehend vom Berliner Streit um eine inzwischen zurückgezogene Antidiskriminierungsklausel in Förderanträgen für Kunst- und Kulturschaffende wird der Ruf wird aus bestimmten parteipolitischen Richtungen nach einem vermehrten Einsatz von Klauseln zum Schutz der Demokratie oder gegen Antidiskriminierung laut – nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Wissenschaftsförderung. Wo die Gefahren liegen, erklären die Max-Planck-Rechtswissenschaftler Marietta Auer und Ralf Poscher.
Hintergrund ist die kurzzeitige Einführung einer Klausel in Berliner Förderanträgen, wonach sich Antragstellende umfangreich gegen Antidiskriminierung bekennen sollten. Nach Protesten zog der Berliner Kultursenator Joe Chialo die Initiative zurück. Der regierende Oberbürgermeister Kai Wegner brachte nun – dem Beispiel Schleswig-Holsteins folgend – eine Änderung der Landesverfassung ins Spiel. Eine Idee, die auch für die finanzielle Förderung von Forschung und Wissenschaft Anhänger findet. Doch sind solche Klauseln zum Schutz vor Antidiskriminierung und Demokratieverächtern zulässig und sinnvoll?
Prof. Marietta Auer ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt und forscht zu den multidisziplinären Grundlagen des Rechts. Sie ist zudem Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
„Sicherlich ist es ein löbliches Ziel, Wissenschaftler auf die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichten zu wollen. Ich halte den Weg verpflichtender Antidiskriminierungsklauseln in Förderanträgen jedoch für den falschen Weg. Solange sich über eine These – und sei sie noch so kontrovers – wissenschaftlich streiten lässt, muss eine solche Diskussion möglich bleiben. Hier mit einem staatlichen Bekenntniszwang einzugreifen, verletzt nicht nur die negative Bekenntnisfreiheit, also die von den Meinungsäußerungs- und Wissenschaftsgrundrechten geschützte Freiheit, eine bestimmte Meinung nicht zu haben oder ein bestimmtes Bekenntnis nicht abgeben zu müssen, sondern läuft letztlich auf eine staatliche Gängelung des Wissenschaftssystems hinaus, die einer freiheitlichen Gesellschaft unwürdig ist.
Nehmen wir etwa die im Berliner Fall umstrittene Frage, ob im Rahmen einer Antidiskriminierungsklausel ein Bekenntnis zur IHRA-Definition von Antisemitismus verlangt werden kann. Das Problem des Bekenntnisses zu einer bestimmten Definition – welcher auch immer – liegt auf der übergeordneten Ebene: Auch die Befassung mit wissenschaftlichen Definitionen ist ihrerseits ein Wissenschaftsgegenstand. Solange also wissenschaftliche Standards eingehalten werden, muss der wissenschaftliche Streit über die Richtigkeit einer bestimmten Definition auf der Grundlage von Art. 5 III GG möglich bleiben und kann damit ihrerseits nicht ohne Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit zum Inhalt eines wissenschaftslenkenden Bekenntnisses gemacht werden.
Selbst wenn man das anders sieht und den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als übergeordnetes Ziel der Wissenschaftsfreiheit vorzieht, wäre immer noch zu bedenken, dass ein solcher Bekenntniszwang für die Wissenschaftskultur schädlich und kontraproduktiv wäre. Der Preis für das „Canceln“ politisch unliebsamer wissenschaftlicher Standpunkte ist ein Klima wissenschaftlicher Selbstzensur und Meinungsangst. Demokratie und Wissenschaft müssen aber – so wenig uns das gefällt – damit leben können, dass die Grundrechte auch das Äußern unliebsamer Meinungen und kontroverser wissenschaftlicher Auffassungen schützen. Wir können nicht alles verbieten, was uns politisch nicht opportun erscheint – mit solchen Mitteln regieren Autokraten, nicht Demokraten.“
Prof. Ralf Poscher ist Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Rechtstheorie und dem öffentlichen Sicherheitsrecht.
„Art. 5 Abs. 3 GG schützt die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre und kennt in Satz 2 eine Einschränkung lediglich für die Lehre, die von der Treue zur Verfassung nicht entbunden ist. Nach m.E. zutreffendem Verständnis stehen Wissenschaft und Forschung nicht einmal unter diesem Vorbehalt. Es dürfte etwa auch dazu geforscht werden, ob sich eine konstitutionelle Monarchie nicht auch für Deutschland empfiehlt, weil sich konstitutionelle Monarchien als widerständiger gegen populistische Angriffe auf den Rechtsstaat erwiesen haben (etwa GB, NL, Schweden vs. Ungarn, Polen). Erst recht kommen keine Beschränkungen der Wissenschaftsfreiheit in Betracht, die sich auf zur Staatsräson erklärte politische Positionen beziehen, so wichtig und zutreffend sie auch sind.
Das staatliche Erfordernis einer Gesinnungserklärung zum Antisemitismus würde die Wissenschaftsfreiheit zudem nicht lediglich ausgestalten, wie etwa organisatorische Regelungen für Hochschulen, sondern in sie eingreifen, da es einen der Wissenschaft externen Zweck verfolgen würde. Ein Gesinnungserfordernis diente politischen Absichten, die keinen spezifischen Wissenschaftsbezug haben, sondern ganz unabhängig von der Wissenschaft verfolgt werden, wie etwa auch der Tierschutz. Anders als für diesen (Art. 20a GG) gibt es aber für das Oktroyieren politischer Überzeugungen keine Grundlage im Grundgesetz, das sich vielmehr auch in anderen Bestimmungen (etwa Art. 5 Abs. 2 GG) entschieden dagegen ausspricht. Meiner Einschätzung nach wäre eine staatliche Bekenntnispflicht zum Antisemitismus als Bedingung für die Förderung von Forschung mit der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar.“
Art 5 Grundgesetz
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.