Transkriptionsfaktoren mit Potential
Forschende verschieben die Aminosäuresequenzen der Proteine und verändern damit deren Bindungseigenschaften
Transkriptionsfaktoren sind wichtige Regulatoren der Genexpression. Sie binden an spezifische Sequenzen auf der DNA, was ein wichtiger Schritt bei der Herstellung von Boten-RNA aus DNA ist. Das Labor von Denes Hnisz hat in Zusammenarbeit mit dem Labor von Martin Vingron am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin herausgefunden, dass menschliche Transkriptionsfaktoren in der Regel nicht ihr volles Potenzial für die Transkription von Boten-RNA nutzen. Stattdessen kodieren wichtige Proteinregionen in den Transkriptionsfaktoren für chemische Eigenschaften, die ihre Aktivität einschränken. Die Ergebnisse zeigen Wege auf, um Transkriptionsfaktoren mit erhöhter oder "optimierter" Aktivität zu entwickeln, die für regenerative Therapien eingesetzt werden könnten.
Jede Zelle enthält die gleiche genetische Information, aber nicht alle Gene werden in jeder Zelle exprimiert. Die spezifischen Muster der Genexpression in den Zellen sorgen dafür, dass ein Neuron anders aussieht und andere Funktionen ausübt als Zellen in anderen Organen oder Geweben. Transkriptionsfaktoren steuern die Bildung von Geweben und Organen während der Entwicklung. Sie tragen auch dazu bei, die Identität von Körperzellen aufrechtzuerhalten, indem sie bestimmte DNA-Sequenzen binden und aktivieren oder unterdrücken. Transkriptionsfaktoren stehen vor dem komplexen Problem, abwägen zu müssen, welche Gene sie binden und in welchem Maße sie diese aktivieren.
Wie sie diese Funktionen erfüllen und ausbalancieren, war lange Zeit ein Rätsel. Erkenntnisse der letzten Jahre deuten darauf hin, dass diese genregulatorischen Elemente einige ihrer Funktionen durch die Bildung von Proteintröpfchen, so genannten Kondensaten, ausüben könnten. "Wir und andere haben gezeigt, dass die Hemmung der Fähigkeit von Transkriptionsfaktoren, Kondensate zu bilden, auch ihre Aktivität in der Zelle reduziert", erklärt Gruppenleiter Denes Hnisz. "In unserer aktuellen Studie haben wir nun das Gegenteil erreicht: Wir haben die Fähigkeit der Transkriptionsfaktoren, Kondensate zu bilden, verbessert und festgestellt, dass dies wiederum ihre Aktivität erhöht." Diese Verbesserung ist allerdings mit einem überraschenden Kompromiss verbunden.
Verbesserte Muster
Im Jahr 2020 machten Forschende eine Beobachtung, die das Hnisz Labor zu der aktuellen Studie inspirierte: "Es wurde gezeigt, dass periodisch angeordnete Aminosäuren in RNA-bindenden Proteinen zur Fähigkeit der Proteine beitragen, Kondensate zu bilden. Wir haben uns gefragt, ob es solche Muster auch in Transkriptionsfaktoren gibt", sagt Alexandre Magalhães, Wissenschaftler im Hnisz-Labor und einer der Erstautoren der Studie.
In Zusammenarbeit mit dem Labor von Martin Vingron am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik entwickelten die Forscher bioinformatische Ansätze, um diese Muster in rund 1.500 menschlichen Transkriptionsfaktoren zu identifizieren. Ausgehend von den Proteinsequenzen suchte das Team nach den Positionen von bestimmten chemischen Merkmalen, sogenannten aromatischen Aminosäuren. Anschließend quantifizierten die Forschenden, wie regelmäßig sie angeordnet waren. "Wir fanden einige Spuren von regelmäßigen Mustern, aber bei der überwiegenden Mehrheit der Faktoren war die Anordnung ziemlich unvollkommen und ließ Raum für Verbesserungen. Wir begannen, die Aminosäuren in Computermodellen so zu verschieben, dass die Abstände zwischen den aromatischen Aminosäuren gleichmäßiger wurden", erklärt Denes Hnisz. Anschließend testeten die Forschenden die Auswirkungen der verbesserten Proteinsequenzen in der Zelle: "Die Transkriptionsfaktoren wurden aktiver. Zu unserer Überraschung banden sie aber auch unspezifischer an die DNA", erklärt Denes Hnisz.
Ein evolutionärer Kompromiss
"Unser Modell geht davon aus, dass die funktionellen Eigenschaften von Transkriptionsfaktoren wie die DNA-Bindungsspezifität oder die Aktivierungsstärke nicht maximal sind, weil sie für die evolutionäre Fitness optimiert sind", erklärt Julian Naderi, Doktorand und ebenfalls Erstautor der Studie. "Jetzt können wir zeigen warum. Wenn man eine Eigenschaft verbessert, wird die andere schwächer und umgekehrt." Das eröffnet die Möglichkeit, das Gleichgewicht zwischen den beiden Eigenschaften zu verändern: "Es ist denkbar, die Transkriptionsfaktoren zu optimieren, je nachdem, welche Funktion in einer Anwendung mehr benötigt wird", fügt er hinzu.
Eine mögliche Anwendung könnte in der regenerativen Medizin liegen, wo Wissenschaftler versuchen, beschädigtes Gewebe durch patienteneigene Zellen zu ersetzen. Da nur wenige Transkriptionsfaktoren einen bestimmten Zelltyp aufrechterhalten können, ist es verlockend, andere Zellen in den gewünschten Typ umzuprogrammieren, indem man diese Faktoren hochreguliert. Solche Ansätze befinden sich derzeit in der präklinischen Erprobung, um beispielsweise Hirnschäden nach einem Schlaganfall zu beheben, indem Astrozyten in Nervenzellen umprogrammiert werden. "Wir haben in der Studie gezeigt, dass wir durch eine kleine Sequenzvariation eines einzelnen Transkriptionsfaktors dessen Fähigkeit, Zellen in einer Zellkulturschale in Nervenzellen umzuwandeln, deutlich verbessern können", sagt Denes Hnisz. "Es wird sehr spannend sein zu testen, ob dieser Ansatz auch im lebenden Organismus funktioniert."