Nervenzellen für Hunger und Durst
Forschungsergebnisse zeigen, wie das Gehirn den Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarf des Körpers bewertet und darauf reagiert

Auf den Punkt gebracht
- Hunger und Durst: Forschende haben Nervenzellen in der Amygdala identifziert, die über verschiedene Schaltkreise das Verlangen nach Essen oder Trinken beeinflussen.
- Spezialisten und Generalisten: Eine dieser Nervenzellgruppen reguliert ausschließlich das Bedürfnis zu trinken. Eine andere Gruppe ist ebenfalls für Durst zuständig, spielt aber auch eine Rolle bei der Regulierung des Hungergefühls.
- Kartierung der Kommunikationswege: Die Nervenzellen stehen mit Hirnregionen in Verbindung, die sensorische Informationen über Nahrung und Wasser verarbeiten.
- Neue Vorliebe: Eine Stimulation von Nervenzellen in der Amygdala machte aus einem zuvor gemiedenen Geschmack das neue Lieblingsgetränk.
Die Amygdala ist eine Hirnregion, die häufig mit Emotionen und Entscheidungsfindung in Verbindung gebracht wird. Sie ist aber auch von Bedeutung, wenn es um unser Verlangen nach Essen und Trinken geht. Bereits in früheren Studien konnten Forschende aus Rüdiger Kleins Abteilung am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz zeigen, dass Nervenzellen im zentralen Kern der Amygdala Nahrung mit Gefühlen verknüpfen: Schmackhaftes Essen wird mit positiven Emotionen in Verbindung gebracht, schlechtes Essen mit Abneigung. Außerdem wird der Appetit unterdrückt, wenn Übelkeit einsetzt. Das Team zeigte auch, dass eine Veränderung in der Aktivität dieser Nervenzellen das Verhalten beeinflusst. So konnten sie Mäuse zum Fressen anregen, selbst als diese satt waren oder sich unwohl fühlten.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen identifizierte das Team nun verschiedene Gruppen von Nervenzellen in derselben Region innerhalb der Amygdala: Solche, die spezifisch auf Durst reagieren, und andere, die auf Hunger reagieren – gesteuert durch ein komplexes Netzwerk molekularer Signale. „Eine dieser Nervenzellgruppen reguliert ausschließlich das Bedürfnis zu trinken. Es ist die erste „Durst-Nervenzelle“, die in der Amygdala identifiziert wurde“, erklärt Federica Fermani, Erstautorin der Studie. „Als wir diese Nervenzellen aktivierten, tranken die Mäuse mehr, und als wir ihre Aktivität unterdrückten, tranken sie weniger. Außerdem haben wir in derselben Region eine weitere Gruppe von Nervenzellen gefunden: Sie ist ebenfalls für Durst zuständig, spielt aber auch eine Rolle bei der Regulierung des Hungergefühls. Es gibt also Nervenzellen mit einer bemerkenswerten Spezialisierung für bestimmte Verhaltensweisen und andere, die allgemeinere Aufgaben bei der Ernährung erfüllen.“
Um zu untersuchen, wie Nervenzellen im zentralen Kern der Amygdala das Ess- und Trinkverhalten regulieren, setzten die Forschenden spezielle genetische Werkzeuge ein. Damit konnten sie die Gehirnaktivität der Mäuse in unterschiedlichen Situationen untersuchen: Wenn die Tiere Hunger oder Durst verspürten, oder wenn sie bereits satt waren und genug getrunken hatten. Eine Methode namens Optogenetik ermöglichte es dem Team mit Hilfe lichtempfindlicher Proteine und eines Lasers, bestimmte Nervenzellen an- und abzuschalten. So konnten die Forschenden beobachten, wie sich sowohl die Aktivierung als auch die Inaktivierung der Nervenzellen auf das Ess- und Trinkverhalten der Mäuse auswirkte. Diesen Ansatz kombinierten sie mit einer neuen Methode, die es erlaubt, einzelne Nervenzellen in verschiedenen Hirnregionen zu beobachten. Dadurch ließ sich feststellen, woher die Nervenzellen ihre Informationen erhalten und mit welchen anderen Hirnregionen sie kommunizieren.
Einfluss des Geschmacks
Die Kartierung der Kommunikationswege zeigte, dass die Nervenzellen mit Hirnregionen in Verbindung stehen, die sensorische Informationen über Nahrung und Wasser verarbeiten – wie zum Beispiel der parabrachiale Komplex. In der Studie wurde auch untersucht, welchen Einfluss andere Faktoren, wie der Geschmack, auf das Verhalten der Mäuse haben. Durch die Kombination eines unbeliebten Getränkegeschmacks mit einer gezielten Stimulation von Nervenzellen in der Amygdala, konnte das Team die Entscheidungen der Mäuse verändern: Der zuvor gemiedene Geschmack wurde zum neuen Lieblingsgetränk. Die Struktur der Amygdala ist bei Mäusen und Menschen ähnlich – die Erkenntnisse könnten daher unser Verständnis dafür verbessern, wie Emotionen unsere eigenen Ess- und Trinkgewohnheiten beeinflussen.
„Grundlegende Triebe wie Durst und Hunger sorgen dafür, dass wir zur richtigen Zeit essen und trinken – die Grundvoraussetzung dafür, dass unser Körper die überlebensnotwendige Flüssigkeit und Nahrung erhält“, erklärt Rüdiger Klein. „Dieselben neuronalen Schaltkreise können aber auch zu Über- oder Unterernährung beitragen, je nachdem, auf welche Signale sie im Gehirn treffen. Durch die Erforschung dieser Prozesse können wir vieles besser verstehen: Wie das Gehirn Essen und Trinken emotional bewertet; wie es lernt, sie mit Freude oder Abneigung zu verknüpfen; und wie die neuronale Entwicklung sowohl angeborenes als auch erlerntes Verhalten prägt.“
Diese Arbeit öffnet die Tür zu neuen Fragen – zum Beispiel, wie das Gehirn Appetit, Durst und Emotionen gegeneinander abwägt. Oder woher wir wissen, wann wir zu wenig oder zu viel gegessen und getrunken haben. Wie werden konkurrierende Bedürfnisse gleichzeitig bewältigt? Schließlich stellt sich auch die Frage, inwieweit diese Schaltkreise bei Krankheiten wie Übergewicht, Magersucht oder Alkoholabhängigkeit beeinträchtigt sind.