Pompeji im Wandel
Fraunhofer- und Max-Planck-Wissenschaftler untersuchen die Restaurierungsgeschichte Pompejis, das seit 1997 Weltkulturerbe ist, und entwickeln innovative Materialien und -verfahren, um die antike Stätte zu bewahren
Pia Kastenmeier kennt Pompeji seit mehr als 20 Jahren. Die Archäologin, die am Kunsthistorischen Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Florenz forscht, verbringt die meiste Zeit in der antiken Stadt am Fuße des Vesuvs in Neapel. „Es ist ein großes Privileg hier zu arbeiten“, sagt sie.
Jährlich besuchen mehr als zwei Millionen Menschen das 66 Hektar große Areal, das ab 1748 ausgegraben wurde. Etwa ein Drittel der antiken Stadt ist weiterhin von Asche und Bimsstein bedeckt; 79 n. Christus hatte ein Vesuvausbruch die Stadt vollständig begraben.
Schon Johann Wolfgang von Goethe, der die Ausgrabungen auf seiner Italienischen Reise (1786 -1788) besichtigte, erzählte, wie die Wände „nach und nach zu Grunde gehen“. Das ist auch der Grund, warum seit den 1980er-Jahren in Pompeji keine neuen Gebäude und Straßenzüge mehr freigelegt werden. Denn widrige Umwelt- und Witterungseinflüsse nagen weiterhin an den Wänden, Fresken und Mosaiken. Auch die Touristenströme hinterlassen ihre Spuren.
Zusammen mit einer Kollegin vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP), Katrin Wilhelm, koordiniert Pia Kastenmeier vor Ort das kunst- und kulturwissenschaftliche Know-how der einen und die technologischen Kompetenzen der anderen Seite, um zu verstehen, wie im Laufe der Zeiten mit Denkmälern umgegangen wurde und wie das kulturelle Erbe nachhaltig zu schützen ist. „Wir arbeiten interdisziplinär. Das ist innovativ, denn Ingenieurs- und Geisteswissenschaftler konzentrieren sich selten auf ein gemeinsames Projekt. Sehr positiv ist auch die Zusammenarbeit mit der örtlichen Denkmälerverwaltung, dem Parco Archeologico di Pompei, zu bewerten.“
Die Restaurierung hat Pompeji nachhaltig verändert
Was der Besucher heute in Pompeji vorfindet, ist nicht nur ein faszinierender antiker Ort, sondern ein Neben- und Übereinander vieler unterschiedlicher Überlieferungen und Vorstellungen eines antiken Stadtbildes. Wie historische Manuskripte, die immer wieder überschrieben wurden, gibt es heute nicht nur ein Pompeji sondern viele Ausprägungen der Stadt, die sich mehrfach im Laufe der Zeit gewandelt hat. Selbst Pia Kastenmeier, die Pompeji bis ins kleinste Detail kennt, war bei ihren Archivstudien überrascht, dass sie einzelne Gebäude kaum wiedererkannte, so sehr hatten sie sich im Laufe der Zeit verändert.
„Jeder restauratorische Eingriff der letzten 250 Jahre liefert Informationen über die Auftraggeber und Ausführenden und ihre Vorstellungen von antiker Architektur“, erklärt Gerhard Wolf. Auf der Grundlage einer intensiven Archiv- und Literaturrecherche sowie bisher unveröffentlichter Quellen erforschen die Kunsthistoriker erstmals umfassend die Restaurierungs- und Musealisierungsgeschichte Pompejis. Dabei haben sie große Mengen an Dokumenten digital neu erschlossen. „Parallel zu einer vornehmlich archäologischen Literatur entstand über Pompeji eine Vielzahl von Publikationen, in denen die Stadt als Ikone der immer wieder neu erfundenen Antike eine zentrale Rolle spielte und sie erst zu dem Mythos machte, dessen Aura sie heute noch umgibt“, erklärt Wolf.
Als Quellen dienten Reisebeschreibungen und antiquarische Literatur, Zeichnungen und Skizzen von Architekten und Künstlern ebenso wie kunstgeschichtliche Werke und ästhetische Traktate über die pompejanischen Mosaiken, Wandmalereien sowie alte Fotos. Dem steht das über 250-jährige „Leben“ einer archäologischen Stätte gegenüber, die sich in ihrer physischen Erscheinung fortwährend verändert hat, sei es durch Verfall oder die Bestrebungen, diesen aufzuhalten.
Optimale Restaurierungsmörtel
Bereits vor 30 Jahren wurden die ersten Grundlagen zur Analyse und Datierung historischer Mörtel gelegt, heute haben sich die technischen Möglichkeiten erheblich weiterentwickelt. Neue, minimalinvasive und zerstörungsfreie Untersuchungsverfahren sowie die computergestützte Analyse großer Datenmengen haben zu einem erheblichen Wissens- und Technologiesprung in diesem Bereich geführt.
„Diese High-Tech-Forschung wurde jedoch bisher kaum im Kulturerbe-Bereich angewandt“, sagt Ralf Kilian, Diplomingenieur und Restaurator vom Fraunhofer IBP. Diese neuen Verfahren wurden nun überführt, spezifisch erweitert und mit traditionellen Methoden der Mörtelanalyse verifiziert.
„Die Römer hatten die Mörteltechnologie über die Jahrhunderte extrem weit entwickelt“, berichtet Gerhard Wolf, Direktor am Kunsthistorischen Institut der Max-Planck-Gesellschaft und zusammen mit Klaus Sedlebauer (Fraunhofer IBP) Leiter des Projekts. „Der antike Quellentext von Vitruvs Zehn Bücher über die Architektur beschreibt Putzaufbauten mit bis zu sieben Lagen Mörtel mit unterschiedlichen Eigenschaften, je nach deren Funktion.“ Allerdings ließen sich diese aufwändigen Arbeiten nur sehr selten in Pompeji nachweisen. Häufiger seien hier zwei- bis dreilagige Putze. Um diese wertvollen antiken Oberflächen dauerhaft zu erhalten, seien optimal angepasste und in ihren Materialeigenschaften auf das Original abgestimmte Restaurierungsmörtel notwendig.
Von den Bauphysikern des IBP wurden jetzt - in den ersten beiden Jahren des Kooperationsprojektes „Pompeji Arch&Lab“ - die eingesetzten Restaurierungsverfahren im Detail analysiert; ein Schwerpunkt lag dabei auf Architekturoberflächen und Mörteln, die die Basis für Fresken bilden. 30 verschiedene Mörteltypen ließen sich identifizieren, die in den Jahren zwischen 1850 und 1970 verwendet wurden.
Einer unter ihnen erwies sich als besonders dauerhaft und bewahrte die Architektur und Dekorationen nachhaltig: Ein Kalkmörtel, der im 19. Jahrhundert weit verbreitet war, wurde sorgfältig in zwei Lagen – mit Unterputz und dünnerer, oberer Schicht – aufgetragen und mit vulkanischen Sanden und Pozzolan versetzt. Zementmörtel hingegen, die später angewandt wurden, waren viel zu hart und trugen zur Zerstörung des Wandputzes vieler Gebäude bei.
„Aufgrund unserer ersten Forschungsergebnisse hoffen wir, individuell angepasste, mineralische wie auch organische Bindemittel und Zuschlagstoffe für möglichst dauerhafte Restaurierungsverfahren zu entwickeln“, so Kilian.
In den heutigen Städten steckt viel Pompeji
Neben der Restaurierungsgeschichte richten die Kunsthistoriker ihren Fokus auch auf den komplexen Prozess der musealen Aufarbeitung Pompejis, die Vorstellung von einer antiken Lebenswelt, wie sie seit Beginn des 19. Jahrhunderts im Archäologischen Nationalmuseum Neapel gestaltet wurde. Dorthin wurden Geräte, Artefakte, Statuen, Vasen, Fresken und Mosaiken aus Pompeji gebracht und in einem neuen architektonischen Kontext geordnet. Das Bild von Pompeji, das dadurch entstand, prägte unter anderem die europäische Architektur und den Städtebau nach der industriellen Revolution. Als Idealbild dienten Keramiken, Bronzen, Skulpturen, Bodenmosaiken, Fresken, Brunnenbauten und die Villenarchitektur. „Selbst in heutigen Städten steckt viel mehr Pompeji als man denkt“, sagt Gabriella Cianciolo Cosentino, die Architekturhistorikerin des Projekts.
Die Erkenntnisse des Kooperationsprojekts, das insgesamt auf vier Jahre angelegt ist, sollen in etwa zwei Jahren in eine Buchpublikation eingehen. Neben Tagungen ist eine eine Ausstellung geplant, sie soll „vor Augen führen, wie und warum zu welcher Zeit restauriert, beziehungsweise rekonstruiert wurde und was die politischen und ideologischen Gründe dafür waren.“
SB/BA