Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für medizinische Forschung
Das Puzzle des Lebens: Vom Bau einer synthetischen Zelle
„Was ich nicht nachbauen kann, kann ich nicht verstehen.“ Was der Nobelpreisträger Feynman über physikalische Systeme sagt, gilt auch für lebende Zellen. Doch der Bau einer künstlichen Zelle aus unbelebten Bausteinen blieb lange Gegenstand philosophischer Spekulation – zu komplex erschien das Experiment. Vereinfachung heißt das Erfolgsrezept der synthetischen Biologie. In dem sogenannten Bottom-up Ansatz werden nur die wichtigsten zellulären Bausteine isoliert und je nach Funktion in zellähnlichen Kompartimenten zusammengesetzt. So entstehen minimale Funktionseinheiten, die eine einzelne Eigenschaft einer lebenden Zelle nachahmen. Sie können beispielsweise Licht in chemische Energie umwandeln, auf Reize reagieren oder sich fortbewegen [1]. Doch der Zusammenbau der Module zu einer voll funktionsfähigen synthetischen Zelle bleibt bislang Vision – zu schwierig ist die Isolation einiger Bauteile, zu komplex ihre Wechselwirkung und ihr Zusammenbau.
De novo synthetische Biologie
Vielleicht hilft es, die Perspektive zu wechseln: Natürlich können wir versuchen, wie Archäologen die Bruchstücke akribisch zusammenzusetzen, um das Original bestmöglich zu rekonstruieren. Tatsächlich mag es aber einfacher sein, neue Werkzeuge und neue Materialien zu verwenden. Aus einem Replikat wird eine Eigenkonstruktion, die die Grundeigenschaften der Zelle nachahmt. Denn Leben, so definiert wenigstens die NASA, ist Selbst-Replikation mit Evolution. Beschrieben werden also Funktionen und nicht die chemische Natur der Bausteine. Das gibt Freiraum für kreative Lösungen, wie wir sie verfolgen: Mit einem de novo Ansatz wollen wir eine synthetische Zelle von Grund auf neu aufbauen. Das Ergebnis wären zelluläre Roboter, die ihre Umgebung wahrnehmen, eine Antwort berechnen und ausführen – als Bindeglieder zwischen der belebten und der unbelebten Welt. Doch welche Werkzeuge und welche Materialien eignen sich für den Bau zellulärer Komponenten?
Programmierbare Präzisionswerkzeuge müssen es sein, die flexibel hohe Stückzahlen an molekularen Maschinen bereitstellen können, passgenau für eine Vielzahl verschiedener Funktionen. Ein geeignetes Werkzeug, glauben wir, ist DNA-Origami, die Faltkunst mit DNA.
Doch welche Werkzeuge und welche Materialien eignen sich für den Bau zellulärer Komponenten? Programmierbare Präzisionswerkzeuge müssen es sein, die flexibel hohe Stückzahlen an molekularen Maschinen bereitstellen können, passgenau für eine Vielzahl verschiedener Funktionen. Ein geeignetes Werkzeug, glauben wir, ist DNA Origami, die Faltkunst mit DNA.
DNA-Origami
DNA-Origami verwendet DNA nicht als Erbinformationsspeicher, wie die Natur, sondern als Baumaterial. Die spiralförmige DNA-Doppelhelix wird entwunden und in Einzelstränge zerlegt. Ein langer Einzelstrang DNA kann nun durch viele kurze, eigens hergestellte DNA-Sequenzen in die gewünschte Form gefaltet werden. Tatsächlich werden aus einer 3D-Zeichnung am Computer die nötigen DNA Sequenzen errechnet und schließlich im Labor zusammengemischt. In einem Tropfen Wasser entstehen nach Erhitzen Billionen von nanoskaligen Kopien der entworfenen Form. Was nach Magie klingt, ist einfache Physik – Energieminimierung. Die DNA findet sich so zusammen, wie sie am besten zusammenpasst. Durch präzise chemische Funktionalisierung werden passive Formen zu funktionalen Einheiten. So haben wir unter anderem künstliche Membranporen aus DNA hergestellt - Komponenten, die sich oft nur schwer aus Zellen isolieren lassen [2].
DNA als Bindeglied
Doch nicht immer müssen es komplizierte Bauwerke sein: Schon eine einzelne DNA-Doppelhelix mit chemischer Modifikation genügt, um zwei zelluläre Komponenten miteinander zu verknüpfen. Das ist hilfreich, denn oft verwendet die Natur nicht ein oder zwei, sondern Hunderte von Bindegliedern, zum Beispiel, um das Zellskelett an die Zellmembran anzuheften. Alle zu isolieren und in synthetische Zellen einzubringen, scheint schier unmöglich. Deshalb haben wir – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Abkürzung gewählt und DNA als künstliches Bindeglied verwendet [3]. Die Bindung über die DNA-Doppelhelix lässt sich als Reaktion auf äußere Einflüsse, zum Beispiel eine Änderung der Temperatur, kontrolliert anheften oder lösen.
Zusammenbau in einer zellartigen Hülle
Schließlich gilt es, die verschiedenen konstruierten Komponenten innerhalb eines membranumschlossenen Kompartiments zusammenzusetzen. Klar ist: Der Prozess bestimmt das Ergebnis. Geschüttelt, nicht gerührt – wie beim guten Cocktail. Das Vorgehen beim Zusammenbau der Komponenten einer synthetischen Zelle will gut überlegt sein, denn besonders die Zellhülle ist fragil. Wenn die dünne Fettschicht einmal ausgebildet ist, gestaltet sich der Einbau von Komponenten schwierig. Deshalb haben wir eine Methode entwickelt, die dem Cocktail-Shaking zumindest augenscheinlich gleicht: Alle Komponenten werden in ein Reagenzglas geschichtet, durch Schütteln entsteht eine Tröpfchenemulsion, die die zellulären Komponenten einkapselt. An der Grenzschicht der Tröpfchen bildet sich eine künstliche Zellhülle aus, durch Aufbrechen der Emulsion können die synthetischen Zellen in eine wässrige Umgebung überführt werden. Auf diese relativ einfache Art und Weise gelingt der Einbau von vielzähligen verschiedenen Komponenten [4]. Auch Mikrofluidik und 3D-Druck erweisen sich als hilfreiche Werkzeuge. Mit Ihnen an der Hand können wir uns der nächsten Funktion annehmen: einem Informationsspeicher für künstliche Zellen.
Wann gelingt das Kunststück Leben, Selbstreplikation mit Evolution? Auf der Erde dauerte es Milliarden Jahre. Anstatt auf eine Verkettung glücklicher Zufälle zu warten, verfolgt die synthetische Biologie klare Ziele. Das lässt hoffen, dass die Konstruktion eines lebendigen Modellsystems nicht mehr lange Vision bleibt. Eine alte Frage erlangt neue Bedeutsamkeit: Was ist Leben und könnte es auch anders sein?
Wann gelingt das Kunststück Leben, Selbstreplikation mit Evolution? Auf der Erde dauerte es Milliarden Jahre. Anstatt auf eine Verkettung glücklicher Zufälle zu warten, verfolgt die synthetische Biologie ein klares Ziel. Das lässt hoffen, dass die Konstruktion eines lebendigen Modellsystems nicht mehr lange Vision bleibt. Eine alte Frage erlangt neue Bedeutsamkeit: Was ist Leben und könnte es auch anders sein?