Das Geheimnis der Schönheit
Was Menschen als schön empfinden, ist höchst individuell. Aenne Brielmann und ihr Team wollen verstehen, wie das Schönheitsempfinden zustande kommt und welchen Einfluss die Gestaltung und die Umgebung auf das Wohlbefinden hat.
Text: Aenne Brielmann / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
Was wir anziehen, wo wir uns gerne aufhalten, womit wir unsere Freizeit verbringen: Jeden Tag treffen wir Entscheidungen aufgrund einer Vorliebe für einen bestimmten Anblick, einen Klang oder einen Geschmack. Diesen Aspekt der persönlichen Vorliebe nutzt die Werbung bereits lange, und doch hat ihn die Wissenschaft bislang weitgehend ignoriert. Das könnte daran liegen, dass es schwierig ist, das „Gerne-Mögen“ zu messen. Ein weiterer möglicher Grund ist die hohe Bandbreite persönlicher Geschmäcker. Unsere Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen möchte das Wesen der Schönheit ergründen und sie mit wissenschaftlichen Methoden analysieren. Dazu arbeiten wir auch mit Philosophen, Informatikern und Architekten zusammen.
Ein- und derselbe äußere Reiz kann im Gehirn unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Ein Geräusch zum Beispiel gefällt dem einen, dem anderen aber nicht. Mein Team und ich wollen herausfinden, wie ein bestimmter Input in einen Output wie Mögen oder Ablehnung umgewandelt wird. Auf diese Weise können wir ein Modell entwickeln und trotz individueller Unterschiede Vorhersagen dazu machen, wie ein Reiz verarbeitet wird. Wir haben für diesen Vorgang eine Theorie in Form eines mathematischen Modells aufgestellt. Damit möchten wir eines Tages vorhersagen können, welche Dinge unser Gehirn besonders mag und welche Veränderungen in unserem Lebensumfeld Gesundheit und Wohlbefinden steigern können.
Unsere Theorie basiert darauf, dass das Gefühl, etwas zu mögen, bedeutet, dass ein Sinneseindruck für unser sensorisches System gut ist. „Gut“ heißt in diesem Zusammenhang, dass unser Gehirn den Eindruck leicht verarbeiten kann und er ihm dabei hilft, vorherzusagen, ob es vergleichbare „gute“ Eindrücke in der Zukunft machen kann. Wenn wir eine für uns angenehmere Möglichkeit wählen, entscheiden wir uns also für eine Sinneserfahrung, die einfacher zu verarbeiten ist und aus der wir etwas lernen können. Der Belohnungscharakter bringt uns dazu, solche Erfahrungen immer wieder machen zu wollen.
Schönheit ist nicht nur Geschmackssache
Nehmen wir als Beispiel Barcelona: Jedes Jahr besuchen Millionen von Menschen die Stadt und flanieren dort durch „Las Ramblas“, die angeblich schönste Straße der Welt. Was macht diese Straße so besonders? Warum empfinden so viele Menschen diesen Ort als schön? In der Architektur- und Designwelt gilt meist die Annahme, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt. In der Wissenschaft weiß man jedoch mittlerweile, dass manche ästhetischen Vorlieben biologisch begründet sind. Um das Empfinden visueller Schönheit zu erfassen und zu messen, setzen wir bewusst keine Fragebögen ein. Sie würden vor allem widerspiegeln, was Menschen aufgrund ihrer Prägung als angenehm und schön empfinden, weil etwa ihr Kunstverständnis oder die Gewöhnung an heutige Städte in die Antworten einfließen. Wir nutzen vielmehr die Technik des „Eye-tracking“. Dabei nehmen wir mit Kameras das Blickfeld und die Augenbewegungen der Betrachter auf. Computerprogramme berechnen anschließend, wohin die Betrachter geschaut haben. Das Erfassen der Blickrichtung ist ein wunderbares Werkzeug, um die unbewusste Aufmerksamkeit zu erfassen. Sie deutet auch Vorlieben und Gefallen an. Schon Kleinkinder blicken unbewusst auf angenehme Gegenstände und richten sogar ihren Körper auf solche Objekte aus.
Menschen mögen Dinge, die der Natur ähneln
Welche Objekte oder Umwelten kann unserer Gehirn nun gut verarbeiten und von welchen kann es lernen? Genauer gefragt: Nach welchen Gesichtspunkten sollten wir Städte bauen und gestalten, damit sie nicht nur funktional, sondern auch „schön“ sind? Sofort drängt sich hier der Gedanke an die Natur auf. Tatsächlich haben viele Studien bestätigt, dass Menschen Dinge mögen, die der Natur ähneln. Das heißt nicht nur, dass das Aufgreifen natürlicher Elemente wie Sonnenlicht, Wasser und Pflanzen einen positiven Effekt darauf hat, wie wir unsere Umgebung empfinden. Auch abstrakte Merkmale können von der Natur abgeschaut werden.
Das bekannteste dieser Merkmale ist das der Fraktalität, ein Prinzip, bei dem das Ganze seinen Bestandteilen ähnelt. Man findet fraktale Strukturen nicht nur in der Biologie, sondern auch in Musik und Mathematik. Ein Baum ist ein gutes Beispiel für ein fraktales Bauprinzip: Die Struktur eines Astes ähnelt dem des gesamten Baumes, die Teiläste wiederum dem Hauptast. Dieses Muster wiederholt sich in fortwährend kleinerer Form, bis hin zur Verzweigung der Blattadern. Mit anderen Worten: Ein Baum ist visuell anregend. Eye-Tracking-Experimente zeigen, dass Menschen auch eine Vorliebe für Fraktale in der Architektur besitzen. Je mehr eine Fassade fraktalen Mustern entspricht, umso eher verweilen die Augen auf ihr. Tatsächlich beinhalten die meisten traditionellen Architekturstile solche fraktalen Elemente. Eine leere Beton- oder Glasfassade hat dagegen unseren Augen nichts zu bieten.
Neue Reize stimulieren die Sinne
Warum also finden Touristinnen und Touristen „Las Ramblas“ so schön? Weil die Straße dem Spaziergänger immer neue stimulierende Reize präsentiert. Ihre Architektur ist einfach zu verarbeiten aber gleichzeitig komplex genug, um weitere Lernerfahrungen zu sammeln – genauso, wie uns Spiele am stärksten motivieren, wenn sie nicht zu schwer und nicht zu leicht sind. Die aufeinanderfolgenden Reize von „Las Ramblas“ fördern einerseits die Fortbewegung, gleichzeitig sinken Anspannung und Stress.
Die positive Wirkung der Umgebung auf unser Gehirn empfinden wir also als schön. Schönheit verringert Stress und fördert das Wohlbefinden. Es ist also nicht verwunderlich, dass Menschen weniger gestresst sind, wenn sie in grüneren Stadtteilen leben oder arbeiten. Kunst kann übrigens denselben Effekt hervorrufen.