30 Jahre Max-Planck-Gesellschaft in Sachsen
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Max-Planck-Präsident Patrick Cramer haben am 4. September zu einem Festakt im Kulturpalast in Dresden eingeladen. Anlass war die 30-jährige Erfolgsgeschichte der Max-Planck-Institute in Leipzig und Dresden. Nobelpreisträger Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erzählte über seine Neandertaler-Forschung.
Die Gründungsgeschichte der Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft in den ostdeutschen Bundesländern begann am 3. Juli 1990 – zwei Tage nach Inkrafttreten des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion beider deutscher Staaten. Als erstes Institut in Sachsen nahm das Max-Planck-Institut für die Physik komplexer Systeme in Dresden im Sommer 1993 seine Arbeit auf. Es folgten fünf weitere Institutsgründungen: „Die Möglichkeit, einen solchen Innovationsschub auf vielen Gebieten der Wissenschaften in der Max-Planck-Gesellschaft zu gestalten, war für uns alle nicht nur eine einmalige Herausforderung, sondern eine beglückende Erfahrung”, schrieb der damalige Max-Planck-Präsident Hubert Markl Ende der 1990er Jahre.
Ein kurzer Abriss der Gründungsgeschichte
Gründungsdirektor am Max-Planck-Institut für die Physik komplexer Systeme war der theoretische Physiker Peter Fulde, vormals Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Fulde hatte die DDR 1956 mit Anfang 20 verlassen. Nun sah er den Aufbau einer leistungsstarken Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern als gesamtdeutsche Pflicht an. Aber dies sollte ein langer Weg werden. Fulde berichtete später von der ersten Pressekonferenz und der großen Enttäuschung als der damalige Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft, Wolfgang Hasenclever, von zunächst nur 35 neu zu schaffenden Stellen sprach - heute zählt das Institut sechsmal so viele Mitarbeitende. Vor allem aber verfügt es über ein einzigartiges Gästeprogramm: Aus der ganzen Welt kommend widmen sich die Gäste den wichtigen und aktuellen Themen der Theoretischen Physik.
Als erste Gründungsdirektorin in den ostdeutschen Bundesländern wurde 1993 die Neuropsychologin Angela Friederici berufen. In einer außergewöhnlichen interdisziplinären Personenkonstellation übernahm sie zusammen mit dem Neurologen D. Yves von Cramon die Leitung des Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung, das nach der Zusammenführung mit dem Max-Planck-Institut für psychologische Forschung in München 2004 und der Umsiedlung des Münchner Arbeitsbereich nach Leipzig als Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften weitergeführt wurde. Das Institut betreibt umfangreiche Humanstudien auf dem Gebiet der Sprachentwicklung, der Gedächtnisbildung sowie der Schlaganfallforschung. Es befasst sich neben Grundlagenforschung auch mit anwendungsorientierten Fragen wie beispielsweise der Diagnostik von Legasthenie.
1995 folgte die Gründung des Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe. Mit Frank Steglich kehrte ein vielfach ausgezeichneter Wissenschaftler als Gründungsdirektor an seinen Geburtsort Dresden zurück. Heute hat das Institut vier Abteilungen. Mit Claudia Felser ist eine der drei aktuellen Vizepräsidentinnen der Max-Planck-Gesellschaft im Kollegium vertreten. Das Institut befasst sich mit den elektronischen und chemischen Eigenschaften moderner Materialien der Festkörperforschung in Abhängigkeit vom Reinheitsgrad sowie der Wechselwirkung mit äußeren Kräften.
Noch im selben Jahr wurde in Leipzig das Max-Planck-Institut für die Mathematik in den Naturwissenschaften gegründet. Damit knüpfte die Max-Planck-Gesellschaft an die lang bestehende Forschungstradition vor Ort an und berief mit Eberhard Zeidler einen gebürtigen Leipziger und Wissenschaftler der dortigen Universität als Gründungsdirektor. In seiner Rede zur Eröffnung des Instituts sagte Zeidler: „Die Mathematik ist ein wundervolles zusätzliches Erkenntnisorgan des Menschen, das ihn in Bereiche vorstoßen lässt, die weit entfernt von seiner täglichen Erfahrungswelt sind.“ Die Erfahrung habe gezeigt, dass große Fortschritte sowohl durch die Auseinandersetzung mit konkreten Fragen der Naturwissenschaften als auch durch die intrinsisch motivierte Suche nach tiefliegenden mathematischen Strukturen erreicht wurden. Mathematik ist heute beides, eine Herausforderung des menschlichen Geistes und Schlüsseltechnologie.
Bei der Gründung des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik 1997 in Dresden zeichnete sich bereits die vollständige Sequenzierung des Humangenoms ab. Die Kenntnis um die gesamte DNA-Sequenz verschiedener Organismen wurde als eine einzigartige Chance für die molekulare Zellbiologie erkannt. Das internationale Team von Gründungsdirektoren aus Finnland (Kai Simons), Italien (Marino Zerial), Großbritannien (Anthony Hyman), den USA (Jonathan Howard) und Deutschland (Wieland Huttner) wollte sie ergreifen. Ungewöhnlich und bis heute einzigartig ist auch das Organisationsmodell des Instituts: Die Forschung ist nicht in Abteilungen gegliedert, sondern in Form eines eng geknüpften und flexiblen wissenschaftlichen Netzwerks mit einem Minimum an hierarchischen Strukturen.
Mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie gründete die Max-Planck-Gesellschaft ein weiteres interdisziplinär ausgerichtetes Institut: Es vereint Forschende aus den Natur- und Geisteswissenschaften, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Geschichte der Menschheit genauer zu untersuchen. Dies geschieht mithilfe vergleichender Analysen von Genen, Kulturen, kognitiven Fähigkeiten, Sprachen und sozialen Systemen vergangener und gegenwärtiger menschlicher Populationen und Gruppen sowie dem Vergleich mit dem Menschen nahe verwandten Primaten. Die Gründungsdirektoren kamen aus Schweden (Svante Pääbo), der Schweiz (Christophe Boesch), den USA (Michael Tomasello) und Großbritannien (Bernard Comrie). Das Institut wurde zudem zur Wiege einer ganz neuen Disziplin, der Paläogenetik, und bescherte Svante Pääbo 2022 den Nobelpreis für Medizin.
Leuchttürme der Forschung
„Nicht alles Projektierte oder Wünschenswerte wird sich künftig realisieren lassen, jedoch ist ohne jeden Zweifel das Fundament für positive Entwicklungsperspektiven einer international konkurrenzfähigen Forschung gelegt“, sagte Max-Planck-Präsident Peter Gruss 2003 nach zehn Jahren Aufbauarbeit. „Die in den neuen Ländern errichteten Max-Planck-Forschungseinrichtungen werden schon jetzt weltweit als Leuchttürme in der Forschung wahrgenommen.“
Aktuelle Zahlen geben ihm Recht: Heute verfügen die sechs Max-Planck-Institute über fast 30 Forschungsabteilungen mit mehr als 2000 Mitarbeitenden und einem Gesamtbudget von mehr als 90 Millionen Euro im Jahr. Zu den herausragendsten Preisen der vergangenen Jahre gehören der Nobelpreis in Medizin 2022 für Svante Pääbo, der Körber-Preis 2022 für Anthony Hyman und Svante Pääbo, die Breakthrough-Preise für Svante Pääbo und Anthony Hyman 2016 und 2022, der Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis 2011 für Stephan Grill, der Hegel-Preis 2009 für Michael Tomasello sowie die Gottfried Wilhelm Leibniz-Preise für Angela Friederici, Frank Jülicher, Roderich Moessner, Anthony Hyman und Marino Zerial. Darüber hinaus wurden in Sachsen zahlreiche ERC Grants des Europäischen Forschungsrats eingeworben.
Aktualisiert am 5. September 2023