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20 Jahre nach der Entschlüsselung des humanen Genoms: Wo steht die Forschung heute?
A, C, G und T – das menschliche Erbgut besteht aus nur vier verschiedenen Bausteinen. 3,2 Milliarden Paare dieser DNA-Basen reihen sich dabei aneinander und enthalten in ihrer Abfolge die genetische Information. Vor genau 20 Jahren gelang es in einem großangelegten Projekt, die Sequenz des humanen Genoms zu entschlüsseln. Mit der Entschlüsselung war die Hoffnungen verbunden, die Lebensverhältnisse des Menschen entscheidend zu verbessern. Unsere Autorin Magdalena Nauerth sprach mit den Max-Planck-Forschern Gene Myers und Hans Lehrach, inwieweit sich diese Hoffnungen erfüllt haben und vor welchen Herausforderungen die Genomforschung derzeit steht.
Im April 2000 verkündete Craig Venter die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Zehn Jahre zuvor hatte bereits ein internationales Forschungskonsortium im Humangenomprojekt (HGP) mit der Sequenzierung der 3,2 Milliarden Basenpaare der menschlichen DNA begonnen. Venter war zuerst Teil des Konsortiums, kündigte aber 1998 an, das Genom mit seiner Firma Celera Genomics im Alleingang zu entschlüsseln.
Ein echtes Rennen zwischen Konsortium und Celera war es aber nicht, sagt Hans Lehrach, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. „Die ersten Veröffentlichungen über den Entwurf des Humangenoms kamen zeitgleich im Februar 2001 heraus“, sagt der Forscher, der damals Sprecher des Deutschen Humangenomprojekts war. „Außerdem hatte Celera Zugang zu den öffentlichen Daten, das öffentliche Projekt aber nicht zu den Daten der Firma.“
Mit dem Schrotschuss zum Erfolg
Venter setzte bei seiner Sequenzierung auf die Schrotschuss-Methode, bei der mit größtmöglicher Automatisierung die menschliche DNA in kleine Stücke zerlegt, sequenziert und anschließend mithilfe immenser Rechnerleistung wieder zusammengesetzt wird.
„Damals wurde kontrovers diskutiert, ob diese Methode wirklich hoch qualitative Genomdaten liefern könnte“, erzählt der Bioinformatiker Gene Myers, heute Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik und Gründungsdirektor am Center for Systems Biology Dresden. Myers war es, der Craig Venter von der Schrotschuss-Sequenzierung überzeugte und für Celera Genomics die Programme zum digitalen Zusammenbau der kurzen DNA-Sequenzen schrieb. Die Methode führte zum Erfolg. „Heute sequenziert jeder Genome mit der Schrotschussmethode“, sagt Myers. Auch das Humangenomprojet gab im Sommer 2000 die Sequenzierung des menschlichen Erbguts bekanntgeben. Alle Ergebnisse wurden hierbei der Öffentlichkeit frei zur Verfügung gestellt.
Genom komplexer als erwartet
Die Sequenzierung des Genoms brachte die große Hoffnung mit sich, Krankheiten wie Krebs endgültig zu besiegen und dadurch die Lebensverhältnisse des Menschen entscheidend zu verbessern. Bald schon stellte sich jedoch Ernüchterung ein: Der Text des Genoms war nun bekannt. Um ihn aber verstehen zu können, musste noch die Funktion der über 20.000 Gene erforscht werden. „Die komplexen Untersuchungen, die sonst an einem Gen gemacht wurden, mussten nun an dem gesamten Genom des Menschen vorgenommen werden“, sagt Hans Lehrach. Um diese immense Menge an Laborarbeit zu beschleunigen, setzte er auf die automatisierte Erbgutanalyse mithilfe von Robotern und Biochips.
Komplett verstanden ist das Genom bis heute noch nicht. Für viele verschiedene Krankheiten identifizierten die Forscherinnen und Forscher auf diese Weise aber die verantwortlichen Gene und verbesserten dadurch Diagnose, Prävention oder Therapie. So führte beispielsweise die Kenntnis genetischer Komponenten von Alzheimer und Diabetes zu einem besseren Verständnis und gezielteren Behandlungsmöglichkeiten dieser Krankheiten. Aber auch eine Vielzahl anderer genetische bedingter Erkrankungen werden inzwischen routinemäßig bei Neugeborenen getestet, um gegebenenfalls noch vor Symptomeintritt mit einer wirkungsvollen Therapie starten zu können.
Ein Genomkatalog und der digitale Zwilling
Die Kenntnis des Humangenoms bildet heute eine wichtige Forschungsgrundlage für viele Bereiche. „Wir treten nun in eine neue, faszinierenden Phase der Genomforschung ein“, sagt Myers. Es hat nämlich entscheidende technische Weiterentwicklungen gegeben. Inzwischen ist es möglich, auch lange DNA-Stücke mit sehr hoher Genauigkeit zu sequenzieren. „Diese Methode liefert perfekte Genome“, erklärt Myers.
Er hat unter anderem auch das Mausgenom sequenziert und gesehen, dass man sehr viel aus dem Vergleich verschiedener Spezies lernen kann. Nach dem Vorbild des schwedischen Forschers Carl von Linné, der alle Lebewesen systematisch katalogisiert hat, schlägt Myers vor, einen ‚Linné der Genome‘ zu beginnen. „Wenn wir hoch qualitative Genome aller Spezies hätten, könnten wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Mustern feststellen und so die molekulare Grundlage des Lebens wirklich verstehen“, erzählt Myers mit Begeisterung.
Auch die Zukunftsvisionen von Hans Lehrach gründen auf neuen Technologien, nehmen aber das Individuum in den Fokus. „Mit neuen Maschinen wird es bald möglich sein, für wenige hundert Euro das Genom eines Patienten zu sequenzieren“, sagt er. Mit Hilfe der immer schnelleren und günstigeren Rechenleistung könnte aus den Genom- und anderen molekularen Daten jedes einzelnen ein Computermodell erstellt werden. Dieses könne die biochemischen Vorgänge im Körper simulieren. „An diesem digitalen Zwilling des Patienten können Wirkung und Nebenwirkungen von Medikamenten oder Therapien gefahrlos getestet werden“, sagt Lehrach. Damit könnten den Gesundheitssystemen Kosten in Milliardenhöhe erspart werden, die momentan durch Probleme mit Nebenwirkungen entstünden: „Diese echt personalisierte Medizin ist die Zukunft."
Magdalena Nauerth / BA